die wahrheit: Der Matratzenkämpfer
Nachts schlafen viele Menschen in Deutschland. Das ist schon seit Jahrhunderten so. Der Schlaf hat jedoch in den letzten Jahren eine radikale Veränderung durchgemacht. ...
... Schlafstörungen begleiten den modernen Menschen mittlerweile so vehement, dass sie sich sogar auf die Wirtschaft auswirken. Wenig wurde bisher allerdings darüber gesprochen, in welcher Lage diese Menschen schlafen. Wenn sie denn schlafen. Auf dem Rücken, auf der Seite, auf dem Bauch oder in einer anderen Lage. Die Studie eines unabhängigen Schlafforschungsinstituts beschäftigt nun Schlafinteressierte in der ganzen Republik. Laut dieser Studie schlafen nur noch wenige Menschen auf dem Bauch. Immer mehr Schläfer machen es sich auf dem Rücken bequem. Die Zahlen schwanken zwischen 0,3 und 10 Prozent.
Alarmierende Zahlen für die Interessengemeinschaft der Bauchschläfer (IdBau), die versucht, diesem Trend entgegenzuwirken. "Das ist ja auch eine ästhetische Angelegenheit, eine Frage der Individualität, ja, es hat sogar politische Dimensionen, wenn man mal ganz genau darüber nachdenkt. Und das sollte jeder einmal tun." Klaus Dormann, Sprecher der IdBau, rührt traurig mit einem Löffel in seinem Tee herum. Die Zahlen rauben ihm den Schlaf. Das wird jedem sofort klar, der die dicken Augenringe des engagierten Bauchschläfers sieht. Wenn er sich in Rage redet, durchfurcht der 48-Jährige mit seinen bratpfannengroßen Händen die Luft in seinem Büro am Berliner Kurfürstendamm. Denn die Entwicklung hin zu einer Gesellschaft von Rückenschläfern ist für ihn nicht akzeptabel. "Wenn das so weitergeht, dann sind wir hier in Deutschland bald ein Volk von Rückenschläfern. Das ist doch eine Schande! Jawohl, eine Schande ist das!"
Tatsächlich sieht es so aus, als würden sich mehr und mehr Schlafinteressierte gegen das Schlafen auf dem Bauch entscheiden. Haben vor wenigen Jahren noch bis zu 15 Prozent der Bundesbürger auf dem Bauch geschlafen, sinken die Zahlen rapide in den einstelligen Bereich. Klaus Dormann und seine Interessengemeinschaft der Bauchschläfer aber sind bereit, mit allen Mitteln gegen das leise Verschwinden des Bauchschlafs anzukämpfen.
"Der Bauchschlaf hat ja keine Lobby. Der Bauchschläfer gilt als Perfektionist, der ungern die Zügel aus den Händen gibt. Das mag zwar sein, aber wir wehren uns entschieden gegen das Image, das von uns in der Öffentlichkeit entstanden ist." Dormann meint offenbar das Bild des Bauchschläfers als gemütlicher Dicker, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Und schon zischen seine Bratpfannen wieder durch die Luft.
Mit seinen Aktionen auf dem Berliner Alexanderplatz oder auch auf den Marktplätzen kleinerer Städte hat er schon eine Menge erreicht, wie er meint. Dabei tut er bei seinen Protestaktionen eigentlich nicht viel: Er liegt einfach nur da - bäuchlings auf einer Matratze. Dann schläft er gemütlich schmatzend vor den Augen der Zuschauer ein. Sein Schnorcheln wird durch eine ausgeklügelte Mikrofonvorrichtung bis in die anliegenden Straßen verbreitet. "Das finden die Leute gut, wenn man ihnen die Sinnlichkeit des Bauchschlafes vorführt", meint Dormann, "viele wissen ja auch gar nicht, dass man auf dem Bauch schlafen kann. Die denken, man sei verrückt und wolle ihnen einen Bären aufbinden. Aber wenn ich dann vor mich hin schlafe, sind die ganz aus dem Häuschen."
Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Gerade Jugendliche wenden sich vom Bauchschlaf ab. Was ist beispielsweise, wenn man mal sehr schnell aufstehen muss? Da ist man als Rückenschläfer gewiss besser dran, muss auch Dormann zugeben. Das konnte in der Frühzeit der Menschheit vielleicht sogar der rettende Moment sein. Während sich der Bauchschläfer erst einmal umdrehen musste, um die Gefahr zu erkennen, hatte der Rückenschläfer schon den Speer in der Hand. Für den Sprecher der Bauchschläfer ist das kein Argument: "Was ist denn das für ein doofes Argument?"
Klaus Dormann wird seine Arbeit fortsetzen. Und zwar jetzt. Es sei Zeit für sein gewohntes Nachmittagsnickerchen, erklärt er uns, als er uns vor die Tür begleitet. Unten vor dem Bürohaus hören wir ihn dann bereits ratzen. Selbstverständlich auf dem Bauch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!