die wahrheit: Lahm wie die Post-Post
Spätlese: Warum die Zeitungszustellung immer langsamer wird.
Urlaubspost? Das war einmal. Jetzt herrscht öfter mal ein unangemeldeter Posturlaub. Am Montag werden die ausländischen Zeitungen vom Samstag nicht mehr verteilt. Dafür kommen dann am Dienstag zwei oder - wenn auch selten - drei Ausgaben der Zeitung auf einmal. So viel zu postalischen Sendungen, die als "eilige Tageszeitung" gekennzeichnet sind, aber im Postjargon ist Eile längst ein Synonym für Weile wie in Orwells New-Speak "Friede" eines für "Krieg".
So kommt es, dass man in einem französischen Blatt in Frankfurt schon am Donnerstag lesen kann, wer am Samstag davor ein Spiel gewonnen hat in einem Tennisturnier. In der Zwischenzeit war der Sieger allerdings längst aus dem Turnier ausgeschieden. Wer außer den europaweit tätigen gelben Riesen verschafft schon solche aufregenden Post-Gefühle - sozusagen das Vorspiel als Nachspiel.
Die Post deutet ihren Namen längst nach dem lateinischen Wort "post", und das bedeutet "nach" und sonst gar nichts. Der dem Post-Postbetrieb mehr oder weniger willkommene Leser soll zum Spätlesen animiert und umerzogen werden. Aber Spätlesen - also aus edelfaulen Trauben gewonnener, vergorener Rebensaft - sind etwas anderes als Zeitungsschnee von vorgestern.
Ein Buch aus Paris nach Frankfurt ist gern einmal zwölf Tage unterwegs. Und je nachdem, ob man in Paris oder Frankfurt nachfragt, ist jeweils der andere Riese schuld, zuständig oder wenigstens verantwortlich für den postalischen Service mit Post-Note.
Das Belegexemplar eines Zeitungsartikels aus Zürich schafft es in sieben Tagen bis nach Frankfurt am Main - branchenintern gesehen also sozusagen als Eilpost, aber faktisch langsamer als zu den Zeiten der Postkutschen vor 160 Jahren. Wenn man beim zuständigen Kundenservice durchkommt und die Zustände anspricht, kriegt man Auskünfte, die den Eindruck erwecken, die Post-Post wäre ohne Kunden ungefähr so glücklich wie die Arbeitsämter ohne Antragsteller.
Während der aktuelle Post-Zustelldienst langsam, aber sicher ins vormoderne Zeitalter zurückrutscht, werden die Postämter postmodern aufgerüstet und verkaufen allerlei postfernes Zeug wie Zigaretten, Uhren und Kinderspielzeug und Feuerzeuge. Bald wird es in der Post so weit sein wie bei den Banken. Der Grundstoff - zum Beispiel Briefmarken - ist dann nur noch auf Vorausbestellung zu kriegen. So geht das schon zu und her auf vielen Sparkassen und Banken. Wer einfach kommt und ein paar hundert Dollar oder Schweizer Franken kaufen möchte für eine Urlaubs- oder Geschäftsreise, hat vielerorts ganz schlechte Karten: "So viel haben wir nicht hier. Das müssen Sie bestellen. Morgen Nachmittag ab 14 Uhr ist das Geld dann da."
Banken, denen die Devisen ausgegangen sind, sind wie eine Kneipe ohne Bier. Demnächst wird auch der Zigarettenladen an der Ecke "Camel" nur noch auf Bestellung liefern können. Die Post-Post, das Post-Postamt, die Post-Sparkasse und der Post-Zigarettenladen vollenden das bereits im Jahr 1963 von Ulrich Sonnemann diagnostizierte Post-Zeitalter im "Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten". Nette Aussichten.
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