die wahrheit: Die Lage ist unübersichtlich
Die Lage war unübersichtlich. Ich suchte eine Zigarette. Ich bin Nichtraucher, aber seit es verboten war, musste ich rauchen. Was blieb mir sonst noch...
...an kleinen Gesetzesübertretungen? Meinen Führerschein wollte ich nicht riskieren. Falls man doch mal fliehen musste, wollte ich wenigstens fahren können.
Ich hustete. Lange. Wegen technischer Probleme. Ich kann nicht rauchen. Ich nahm mir einen Drink. Ich vertrage so früh noch gar keinen Alkohol, aber die Lage war immer noch unübersichtlich. Die CDU war plötzlich gegen Atomkraft, Steinmeier lief nur noch auf einer Niere und die Spritpreise schossen ohne jede Preisabsprache in die Höhe. Ich notierte in meinem Notizbuch: "Sonnenbraun verfliegt sehr schnell / ganz anders ist das Becquerel!"
Dauernd wurden Castor-Behälter in Gorleben auf die grüne Wiese geschoben. Das Endlager war für den Atommüll ein ungefähr so sicheres Versprechen wie für die Christen der Himmel. Solange standen die Castoren in der Gegend herum. Keiner fragte, wie das, was in den Behältern war, überhaupt herauszupulen war. Ein Physiker hatte mir erklärt, dass Verfahren dazu müsse man erst entwickeln. Ob das nicht unverantwortlich sei, hatte ich gefragt, etwas einfüllen, was man nicht wieder herausbekommt. Er meinte, er halte es mit Alfred Biolek, der einst gesagt habe: "Man muss nicht jede Suppe selber löffeln, die man kocht!" Später schickte er eine SMS: "Ein Physiker ist kein Krabbenpuler!"
Verzweifelt blätterte ich in der Zeitung. Nicht eine Nachricht aus Hannover. Nicht mal ein neues Buch von Frau Käßmann. Die Lage blieb unübersichtlich. Ich las, dass Gottschalk nun doch weiter "Wetten, dass . . ?" moderieren würde. Dadurch war es auf Mallorca zu einem Selbstmordattentat von Barbara Schöneberger gekommen. Ich notierte: "Wär ich ein Selbstmordattentäter / ich tät das Attentat erst später!"
Es war fast 13 Uhr. Ich hatte Hunger. Ich ging essen. Zum Griechen. Ich notierte auf meiner Serviette: "Europaweit der größte Schurke / ist Griechenland, die faule Gurke." Als ich herauskam, übergab ich mich. Vorsichtshalber. Wegen Ehec. Ich ging zurück in mein Büro und sah im Fernsehen, dass Boris Becker gerade meine alte Volksschule renovierte und den Garten meiner Eltern mit Geranien aus dem Baumarkt bepflanzte.
Die schönsten Szenen davon gab es dann auf RTL 2 mit Kommentaren von Hella von Sinnen, die den Job auf Wunsch von Sepp Blatter durch den neuen ZDF-Intendanten Thomas Bellut bekommen hatte. Der Titelsong zur Sendung war von Lena und Westernhagen gemeinsam komponiert. Ich übergab mich schon wieder. Ehec? Der Grieche? Zu nah am Castor gestanden? Die Lage war weiter unübersichtlich. Ich notierte: "Vielleicht sollte man sich doch erschießen / dies Leben ist nicht zu genießen."
Ich klickte auf eBay und suchte einen Colt Navy Kaliber 36, wie ihn seinerzeit Clint Eastwood benutzt hatte in "The Good, the Bad and the Ugly". 1.300 Dollar. Das war mir die Sache wert. Jetzt fehlten nur noch die Kugeln. Ich hoffte, der Euro würde halten, bis ich sie bezahlt hätte.
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