die wahrheit: Im Hollandrausch
Homo Ludens: Was macht man im niederländischen Regensommer?
Es regnet Bindfäden. Was tun im Urlaub? In Holland? Wir entdecken in der Ferienwohnung ein Brettspiel. Auf Holländisch. Dieses Kennisspel ist eine Art Trivial Pursuit nur über Zeeland, unser Urlaubsküstengebiet im Süden des Landes. Lauter Fragen, die man mit rudimentären Niederländischkenntnissen meist erst gar nicht versteht. Oder die man nie beantworten könnte: Wer ist seit 2008 Bürgermeister von Cadzand? Welches bekannte Duo besingt den Sommer von Zeeland? Die Antwort für alle Schlagerfreunde lautet: "Saskia & Serge". Welche Zeeuwse Sportlerin holte im Jahr 2008 eine Goldmedaille in Peking? Eine Wasserballerin.
Bald aber türmt sich ein Erkenntnisgewinn über eine Weltengegend auf, die man sonst nur erradelt und bestrandet hat oder sich als Jugendlicher sonnig schön gesoffen. "Speel het Zeelandspel"! Spiel das Zeelandspiel! 2.400 Fragen, mehr als Serooskerke und Yerseke Einwohner haben.
Wir wissen jetzt, wie viele Zughaltestellen es zwischen Bergen op Zoom und Vlissingen gibt. Welche Stadt 2008 ihre Coffeeshops afgesloten hat. Dass es fünf mittelalterliche Ringwallburgen auf Zeeland gibt und warum Sissi, Kaiserin von Ostenrijk, einst in Domburg weilte: Weil Dr. Mezger sie "mit seinem goldenem Daumen" heilen sollte. Oder welche die dunstbevolkte Gemeinde ist. Das bedeutet nicht etwa die neblig-wolkigste, sondern die dünnstbevölkerte. Und endlich haben wir Kennis bekommen, wann Belgie Zeeland annexeren wollte. 1919 wars. Diese Spitzbuben.
Na,und welche Tiere kaputten das eingepolderte und heldenhaft dem Meer abgerungene Land am meisten, Mäuse oder Gänse oder Bisamratten? Es sind die Gänse, auch wenn diese als Zugvögel die einzigen Saisonarbeiter der drei sind. Für den atompolitischen Kampf ist es erhellend, wodurch das AKW Borssele 1992 mehrfach stillgelegt werden musste: Nicht wegen a) Sabotage oder b) Leckage, sondern wegen c) Quallen in der Kühlwasserzufuhr. Alles zugeglibscht.
Kamen in den neunziger Jahren mehr nederlandse oder duitse Urlauber nach Zeeland? Wir fallen drauf rein, denn Holländer ist richtig - überraschend. Welches Tier ziert das Wappen der Muschelzuchtmetropole Bruinisse? Die Mossel, der Bruinvis oder ein Hert? Auf Muscheln und den bei Bruinisse naheliegenden Braunfisch fallen wir nicht rein, also bleibt der Hert. Das heißt laut Lexikon Hirsch. Und es ist richtig. Hirschkäfer heißt übrigens Vliegende Hert, fliegender Hirsch. Ist aber leider nicht im Wappen.
Wie groß war der größte seeländische Kuchen aller Zeiten, "gemessen in Vierkantemeter"? Häh? Frikandel essen die Holländer und Vanillevla, aber Vierkantmeterkuchen? "125 m(2)" steht da als Antwort, zudem sei das gesamtniederländischer Rekord! Quadratmeter heißt also Vierkantemeter. Wie klug, wie allumfassend. Eine Fläche muss ja nichtquadratisch sein. Wow! Auch das Wort tuinslang beeindruckt. Eine Gartenschlange? Ja doch: Gartenschlauch heißt das auf Technologisch-Deutsch. Tuinslang - ähnlich sinnlich wie kleindochter ("Kleintochter" für Enkelin) oder das berühmte bromfiets ("Brummfahrrad" für Moped).
Wir kreieren bald eigene Fragen. Wo gibt es das scheußlichste Fischessen von Zeeland: Beim Vis Koning in Colijnsplaat, beim Muschelmaster in Westkapelle oder in Burgh-Haamstede bei fish & more? Dessen Altöl-Matschepampe würde jedem handelsüblichen Automobil den Kolben zerreißen. Oder: Für welche 5.200.000 Kerzen ist Zeeland berühmt? Die Zahl der Befreiungsschläge aller Fußballverteidiger seit 1896? Der Output an Teelichter-Souvernirs in Terneuzen seit Beatrixens Krönung? Nein, es ist, laut stolzem Hinweisschild, die Strahlkraft des Leuchtturms von Nieuw-Haamstede, einem der hellsten Europas, einst Zierde des 250-Gulden-Scheins. Millionenfache Erleuchtung die ganze Nacht.
Im nächsten Scheinsommer, wenn es wieder katten en honden regnet, fahren wir nach Noordgouwe oder Dreischor, wo noch eine Gracht um die Dorfkirche plätschert. Oder es geht schon im Frühjahr in die Dünen von Westerschouwen zum Pfannekuchenlauf. Ins Dorf Zonnemaire (pure Poesie dieser Name!) oder nach Tholen. Hier werden weltexklusiv Bokkenpootjes gefertigt. Das sind Bocksfüße. Bocksfüße sind Bisquitkekse mit Buttercreme und teuflischen Schokotupfern. Fast so lekker wie vliegende hert aus dem Herd, knuspriger als jeder Bitterballen. Eet smakelijk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker