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die wahrheitGewienerte Schellen

Vorsicht Alphirten! Er ist wieder unterwegs, ihr könnt ihn nicht aufhalten. Er ist wieder da! Er ist grau-grün, klein, kratzig - und er greift sie alle an...

...ausnahmslos: die über 33.000 mächtigen Kuhglocken. "Schellen" werden sie genannt in der schroffen Bergregion mit den saftig-grünen Bergwiesen. Nicht Glocken, denn Glocken sind gegossen, Schellen sind geschmiedet und sauschwer! Warum sonst brüllen die Rindviecher so, wenn sie am Ende des Bergsommers hinunter getrieben werden ins Tal: Weil diese Dinger, die sie am Abend vorher umgeschnallt bekommen fünf, sechs, ja manchmal sogar acht Kilo wiegen. Drei Mannsbilder müssen jedes einzelne Rind bändigen, bis es sich diese schweren Dinger umhängen lässt.

Ja, er ist vorbei, der Allgäuer Bergsommer, die 30.000 Jungrinder und 3.000 Mutterkühe sind hinuntergetrieben ins Tal, von 1.000 Hirten und mehreren tausend Treibern - den Burschen mit den strammen Wadeln in ihren Lederhosen. Almabtrieb sagen sie unten im Süden und Südosten von Bayern.

Weiter drüben im Westen, im Allgäu, wo immer alles ein wenig anders ist, bei denen, die einst als "wildes, räuberisches Bergvolk" bezeichnet wurden, da heißt das Spektakel, das jährlich Zigtausende von staunenden Touristen und die Ministerpräsidentengattin anlockt, "Viehscheid". Weil unten im Tal am Scheidplatz die Rindviecher wieder geschieden, sprich aufgeteilt werden auf die Bauern, die sie mit den Hirten den Sommer über hochgeschickt haben. Ja, ja, die Hirten sind so was wie die Leiharbeiter der reichen Bauern, die den 100 Tage langen Bergsommer deren Viecher auf der Weide bewachen.

Kaum aber sind die vierbeinigen Rindviecher unten, kommt er, der fiese graue, kratzige Putzteufel - wer nennt ihn schon bei seinem richtigen Namen? "ako Pads" heißen diese Dinger, die sonst verkrustetes Fett aus Pfannen lösen sollen. Doch im Allgäu schleichen sie sich an, und nahezu jeder Hirte lässt sie für sich arbeiten, beim Schellen-Putzen.

Die 1.200 bis 1.500 Euro teuren "Kuh-Glocken", die einzig zum Zweck des Viehscheids angelegt werden, müssen nämlich gereinigt werden nach dem langen Weg ins Tal. Und wir haben die kleinen Putzteufel beobachtet, auf der "Alpe Sorg 2" bei Wertach, unterhalb des mächtigen "Sorgschrofen", eines Bergs, in dem derzeit die Hirsche kräftig röhren.

Werner, ein strammer, schlanker Mann der Berge, und sein Vater, ein kleiner zäher Alphirte, sind seit Tagen beschäftigt. Fünf, sechs Stunden am Tag werden die mit bunten Fransen bestückten Lederriemen geschrubbt, mit dem Dampfstrahler traktiert, dann sind die Schellen dran. Und da ist er wieder, der Putzteufel.

Mit "ako Pads" werden die Messingschilder, die zeigen, wem die wertvolle Schelle gehört, gewienert und auf Hochglanz poliert. "Nach zwei Tagen hab ich Hände so weich wie eine Hebamme", schmunzelt der Mann der Berge mit dem hierzulande typisch verschmitzten Grinsen um die Bergleraugen. Und schon schrubbt er weiter.

Dann folgt der andächtige Marsch hinüber zum Holzzaun auf seiner Alpe. In Reih und Glied werden sie in der Herbstsonne aufgehängt, die Schellen. Dort trocknen sie vor sich hin und wehe, es kommen wild entschlossene Wanderer hoch auf den Berg: Ehe sie sichs versehen, wird ihnen ein Putzlappen in die Hand gedrückt. Und sie müssen die Lederriemen einfetten und die glänzenden Glocken, pardon, Schellen, einölen.

"Ja", sagt der 70-jährige Alphirte Charlie, als die Frage auftaucht, ob die großen Schellen und die kleineren Weideglocken, die die Rindviecher den Sommer über umgeschnallt haben, nicht auch ab und zu geklaut werden. Aber er mahnt auch - fast beschwörend: "Schellen stehlen - da wirst nicht glücklich! Das kann der Kuh das Leben kosten, wenn die sich im steilen Gelände verläuft, die findet man nicht mehr." Aber ja, immer wieder mal schmust sich so ein Tourist an eine zutrauliche Kuh ran, nimmt ihr die Glocke ab und hängt sie sich als Bergtrophäe daheim in den Partykeller, mitunter ein tödliches Souvenir.

Und bevor wir den kleinen, grauen Putzteufel vertreiben, noch etwas, das man zu diesen Kuh-Umhängseln wissen muss, ob es sich nun um die leichteren Weideglocken oder die schweren Kuh-Schellen handelt: Sie haben alle einen ganz eigenen Klang, und den müssen die Hirten sich ganz schnell einprägen. "Wenn du das nicht kennst, bist eigentlich kein Hirt", meint der Charlie. "Auch die Kühe untereinander kennen sich, und wenn mal eine sich versteigt, geht sie dem Klang nach, und so laufen die fast immer wieder zusammen."

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