die wahrheit: Wer Sülze sät
Vorweihnachtszeit - Schwartenzeit: Festlicher Flash für die Feiertage.
Wenn draußen Väterchen Frost verzweifelt an die verrammelten Türen klopft, wenn in den vereisten Fensterscheiben Sterne leuchten, wenn allerorten gebastelt und gebacken wird und geheimnisvolle Düfte von angebrannten Zimtsternen durch die Flure wabern, dann ist Weihnachten nicht mehr fern.
Zeit, es sich mit Familie und Freunden vor dem Glühweinkessel gemütlich zu machen und das Jahr mit besinnlichem Gelaber ausklingen zu lassen. Weihnachten - eine Zeit der geselligen Runde, eine Zeit, in der wir gern eine gute Sülze verzehren. Eine Festtagssülze eben.
Festtagssülzen haben in deutschen Landen eine lange Tradition. Schon im Mittelalter wurden zu Weihnachten besonders fetthaltige Sülzen angeboten, war es doch damals der reinste Luxus, Bratenreste mit Schweineschwarte zu verfeinern und in einem "Meer aus Gallert" (Melanchthon) zu ertränken.
Auch Wolfgang Amadeus Mozart soll sich auf die stimulierende Wirkung der Sülze verlassen haben, während der deutsche Kaiser Wilhelm II. sie als lukrative Steuerquelle nutzte: Die Sülzensteuer, ursprünglich zur Finanzierung der kaiserlichen Flotte gedacht, spült noch bis heute Geld in Schäubles klammen Staatssäckel.
Manche dieser Traditionen haben sich bis heute behaupten können, manche auch nicht und wiederum andere werden heute von hippen Metropolenbewohnern wiederentdeckt. Florian Silbervogel, der in München das "Sülzwerk" betreibt, eine beim Medienvolk beliebte Sülzen-Lounge, schwärmt vom Coolnessfaktor der altdeutschen Schwabbelspeise. "Manche Medienleute kommen jeden Tag in meinen Laden und holen sich hier ihren Gelatineflash, andere stehen mehr auf Sülze to go und ziehen sich in der U-Bahn die Schwarte rein."
Festtagssülzen erfüllen einen ganz besonderen Zweck: Es müssen Sülzen sein, die einerseits Freude bereiten, aber nicht zu kompliziert sind. Sie müssen die Geselligkeit unterstreichen, ohne zu irritieren. Sülze ist der beste Kommunikationskatalysator der Welt und entsprechend sollte sie das Gespräch unterstützen und anregen, ohne selbst im Mittelpunkt des "Gesülzes" zu stehen. Sehnige Fleischbrocken oder massive Knochen sind der gehobenen Gesprächskultur eher hinderlich, ausbalancierte Fettkompositionen mit ausgewogenem Gewürzemix passen viel besser in die weihnachtliche Festtagsrunde.
Auch Sülzengeschenke haben eine lange Tradition, die weit ins Mittelalter hineinlappt. Damals war es meist ein irdener Topf, bis zum Rande gefüllt mit der köstlichen Speise. Heute gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie das Sülzenpräsent überreicht werden kann: ob im Glas oder im Teller, in der Tupperware oder in der Kristallschale, dem Gestaltungswillen sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Da die Geschmäcker bekanntlich verschieden sind und wir ja auch nicht immer wissen, wer welche Sülze zurzeit besonders gern mag, ist es oft angebracht, eine kleine Auswahl zu schenken. Sülzen unterschiedlicher Zusammenstellung präsentieren nicht nur eine reichhaltige Aromenpalette, sie gestatten auch die Gestaltung einer kleinen Reise rund um diese Götterspeise. Sollte es dann noch schneien, der Lärm des Alltags durch die "weiße Pracht" (Adorno) "gedämpft" (Schuhbeck) werden und das Kaminfeuer knistern - dann ist eine kleine Sülzenprobe unter Freunden genau das Richtige.
Festtagssülzen lassen uns gern ein "Biss"chen träumen und die Zeit genießen. Damit unterscheiden wir uns nicht im Geringsten von unseren Altvordern, die sich bereits vor Jahrhunderten die Wänste mit herrlichen Sülzen vollzuschlagen pflegten. Schließen wir unseren Rundkurs durch die faszinierende Welt des Schwartenmagens mit einem Bekenntnis der Sülzenwitwe Sieglinde Schwallenhöfer, die schon im 19. Jahrhundert um ein kleines Geheimnis ihrer berühmten Knöcherlsulz wusste: "Sülze ist die einzige Speise, die eine eingefleischte Vegetarierin zum Fleischverzehr bekehren kann. Und es ist die einzige Speise, durch die eine Dame immer schöner wird."
Oder wie eine alte Weihnachtsweisheit besagt: Wer Sülze sät, wird Schwarte ernten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl