die wahrheit: Plüschen statt plündern
Berufsbilder: die flauschige Verklärung des Freibeutertums.
Wie kann es angehen, dass eine Berufsgruppe, die seit Jahresbeginn 625 Geiseln genommen hat, dabei 41 Menschen verletzt und 8 getötet hat, unverändert populär geblieben ist? Die Rede ist von den Piraten, deren Bild in der Öffentlichkeit rätselhaft verklärt erscheint. Da kann das Info-Center für Blauwassersegeln noch so sehr mahnen: "Sie (die Piraten) schlagen ihre Opfer zu Krüppeln, quälen sie, vergewaltigen Frauen und scheuen auch nicht, auf Kinder zu schießen": Doch man wählt und mag sie, die draufgängerischen Freibeuter.
Das wäre nicht denkbar ohne den publizistischen Flankenschutz ausgerechnet der scheinheiligen Wirtschaft, die sich bei ihrer Kaperfahrt auf den weihnachtlichen Warenumschlagplätzen die Schatztruhen füllen will. Geschickt wird da bei den Schwächsten der Schwachen der Enterhaken angesetzt, bei den unmündigen Kindern nämlich. Diesen bietet das Berliner Nobelkaufhaus KaDeWe skrupellos Piratenspielzeug an: Säbel, Entermesser und eine Handprotese, die beschönigend "Piratenhaken" genannt wird. Dazu ein knuffiger Plüschhai und ein flotter Hartschalen-Trolley mit Captn-Sharky-Bild. Entern und plündern mit dem Rollkoffer, da scheint doch ein falsches Berufsbild vorzuliegen!
Der echte plündernde Hochsee-Somalier nimmt einfach das ganze Schiff mit und bevorzugt automatische Waffen und Panzerfäuste anstelle der Plastiksäbel aus dem KaDeWe. Ein Höhepunkt der vollmundigen Piratenwerbung ist der Prospekt des Adventureland Bazars, der seinen erwartungsvollen Besuchern "Hochseespaß mit plündernden Piraten" verspricht! Aber auch zu Hause kann man seinen Spaß haben: Es gibt ein Holzangelspiel mit Bombe (ab 3 Jahren) und eine "Piratenbox" für 34,50 Euro mit sechs Augenklappen und sechs Piraten-Notizblöcken. Buchführung beim Plünderspaß ist das A und O!
Piratenpädagogisch fragwürdig ist die Verplüschung des Piratenbildes: Es gibt einen Plüschbären "Pirat" aus "besonders weichem Material", der an der Kinderzimmertür hängend die elterlichen Angriffe abwehren soll, und die Firma Haba bietet ein "Captain Charlie Sword" an, an dem man sich nicht verletzen kann - "thanks to the soft fabric", wie sie in ihrer Werbebroschüre säuselt. Auch die Sitztruhe "Pirat" (69 Euro) ist eher was für Kuschelpiraten: "Ein Bremsscharnier verhindert schnelles Zuklappen des Deckels und geklemmte Finger." (Eigenwerbung).
So wird das natürlich nichts mit der von der Krankenkasse finanzierten Hakenhand. Da lässt man sich doch besser die Kindersitzgarnitur "Nicki" für vier Piraten ("Schmiede deine Enterpläne") schenken. Für Streberpiraten gibt es eine Rechen-Piratenkiste (12,50 Euro) und das Piraten-Abc mit Anlauttabelle (röchel, ächz). Viele Piraten sollen ja nicht lesen können und sind nur deshalb gezwungen, ihrem blutigen Gewerbe nachzugehen. Bei Zahnfleischbluten wäre der Piratenzahnbürstenhalter (2,79 Euro) nicht schlecht, aber leider haben echte Piraten gar keine Zähne mehr, Skorbut noch mal!
Plüsch und Plastik auf dem kindlichen Piratenmarkt allüberall, doch wie sieht es mit dem Piratenbild in der rauen Seeräuberstadt Hamburg aus? Dort kann man bei den "hamburgpiraten.de" einen Piratenüberfall mit wahlweise vier, sechs oder acht Piraten buchen. Auch Teambuilding-Maßnahmen für räuberische Firmen werden dort angeboten. Man lernt bei den hanseatischen Piraten "über die Planke zu gehen", "Limbo unter dem Säbel", "Scherbenlaufen" mit nacktem Holzbein, Knotenkunde und Feuerspucken. "Sollten die Piraten nicht Ihrem Firmenprofil entsprechen, kann auch die Panzerknacker-Variante gebucht werden", verspricht die geschäftstüchtige Crew. Und woher hat die Hamburger Firma wohl ihre Fachkräfte? Gut, dass in Hamburg der erste Prozess auf deutschem Boden gegen somalische Piraten stattfand. So etwas nennt man dann gelungene Integration!
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