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die wahrheitIch lass mich scheiden

Im Jahr des Hasen: In all den Jahren, die ich nun schon in chinesischen Gefilden lebe, habe ich alles Mögliche unternommen, um ein richtiger Chinese zu werden...

I n all den Jahren, die ich nun schon in chinesischen Gefilden lebe, habe ich alles Mögliche unternommen, um ein richtiger Chinese zu werden. So esse ich inzwischen fast nur noch Chinesisch.

Ich kaufe Chinesisch ein, benehme mich Chinesisch und spreche auch immer besser die Sprache. Seit Neuestem bin ich sogar unter die Kaligrafen gegangen und schreibe Schriftzeichen. Die wichtigste Aktion auf dem Weg zum echten Chinesen ist aber immer noch der Weg zum Singapurer Standesamt gewesen, um dort meine chinesische Frau zu heiraten.

Jetzt überlege ich hin und her, was ich noch zusätzlich machen könnte. Vielleicht sollte ich mich wieder scheiden lassen, denn Scheidungen sind unter Chinesen das nächste große Ding. Während früher einmal eine geschlossene chinesische Ehe so festbetoniert war wie der Kern des havarierten Reaktors in Tschernobyl, gleicht sie heute eher der Reaktorhülle des AKW Fukushima.

Konkret heißt das: Seit den späten siebziger Jahren hat sich hier die Scheidungsrate verfünffacht. In den letzten Jahren beschleunigte sie sich sogar um 10 bis 20 Prozent. Nach einer Statistik des Municipal Civil Affairs Bureau aus dem Jahr 2008 führen wir dabei in Peking noch leicht vor Schanghai. In der Hauptstadt liegt der Prozentsatz der Scheidungen pro geschlossener Ehe inzwischen bei 39 Prozent im Jahr, während es in der Angeberstadt am Meer auch immerhin schon 38 Prozent sind.

Allein im ersten Halbjahr 2010 waren es in ganz China 848.000 Paare, die genug voneinander hatten; so viel wie die Einwohnerzahl von Amsterdam. Das ist zwar noch nicht Weltniveau. In Deutschland zum Beispiel liegt die Scheidungsrate bei etwas mehr als 50 Prozent der pro Jahr geschlossenen Ehen (2008 50,9 Prozent beziehungsweise 2,3 pro tausend Einwohner in 2009). Aber wenn die Rate in China weiter so steigt, wird man auch auf dem Scheidungssektor den Rest der Welt schon bald hinter sich lassen.

Dass man sich neuerdings so gern scheiden lässt, liegt unter anderem auch daran, dass im Jahr 2003 die Gesetze geändert wurden. Seitdem geht ein separierungswilliges Paar einfach zum Mariage Administration Office und füllt ein Formblatt aus. Dann zahlt man neun Yuan (ungefähr einen Euro) und plopp ist man wieder Single.

Neun Yuan, das wäre mir der Spaß schon wert. Und was mache ich nach der Scheidung? Natürlich heirate ich meine Frau sofort wieder! Schließlich kann ich ohne chinesische Ehefrau mein Chinesischwerden vergessen! Außerdem geht in China eine Hochzeit genauso schnell wie eine Scheidung, und kostet auch genauso wenig. Auch deshalb hört man immer wieder von Paaren, die Blitzscheidung und Blitzwiederverheiratung praktizieren. Das Pekinger Stadtmagazin City Weekend beschrieb vor einiger Zeit sogar Fälle, wo man sich offiziell am Morgen trennte, nur um am Nachmittag erneut den Bund fürs Leben zu schließen - auf demselben Standesamt. Ich denke, das ist eine gute Sache. Gibt nicht erst eine Scheidung mit allem Drum und Dran einer Ehe den richtigen Kick?

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