die telefonbüchse der pandora:
von ARNO FRANK
Irgendein Kleinwagen hätte es sein können. Irgendeiner dieser putzigen Renaults mit drolligen „Augen“, für die es im Zubehörhandel aufklebbare Wimpern gibt. Kurz vor den Feiertagen aber war München vollkommen mietwagenfrei. Nur Sixt hatte noch einen Wagen im Angebot, „einen 3er BMW für 180 Mark zum Weekend-Tarif“, wie eine gehetzte Stimme am Telefon behauptete. Dort angekommen, war’s dann schon ein 5er BMW, die nächstgrößere Klasse. Der 3er sei in Reparatur, hieß es, und dass ich den 5er „in Gottes Namen“ zum selben Preis wie den 3er haben könne. Ob der bitteren Kälte aber wollte und wollte auch der 5er nicht anspringen, sondern hustete nur trocken seine Batterie leer. Und so fand ich mich schließlich, „in Gottes Namen“, hinter dem Volant eines silbergrauen BMW 735i. Eine Luxuskarosse ohne Wimpern und anderen Schnickschnack. Dafür mit i wie Injektion. Ein sechzehnzylindriger Kilometerfresser für Geschäftsleute, die ihre silbergrauen Anzüge hinten in den Wagen hängen, damit sie nicht knittern. Und dann hemdsärmelig drauf auf die linke Spur und immer „Gib ihm!“ – wie man so sagt, wenn man so will. Ich wollte. Ich hatte noch nie! Ich hätte nicht sollen.
800 Autobahnkilometer zum Weekend-Tarif sind sehr verführerisch. Und der Tempomat! Man stellt eine beliebige Geschwindigkeit ein, die der Wagen dann automatisch hält. Der Fahrer kann derweil die Füße aus dem Seitenfenster hängen oder es sich im Schneidersitz bequem machen, egal, das Auto rast weiter. Als mich diese verblüffende Tatsache zu langweilen begann, entdeckte ich den Bordcomputer. Bei Glatteisgefahr piepst er beflissen. Er piepste oft, was mich kaum kümmerte, schließlich ist der BMW 735i mit Anti-Blockier-, Anti-Schlupf- und Anti-Langeweile-Systemen ausgerüstet. Und der Pferdefuß? Irgendeinen Makel musste das günstige Arrangement doch haben? Würde mich die Fahrt – abgesehen von den 16 Litern Sprit auf 100 Kilometer – noch teuer zu stehen kommen? Besorgt führte ich ein paar Telefongespräche. Über die Freisprechanlage. Ohne Hörer. Man spricht, als rede man mit sich selbst, in verborgene Mikrofone, während der Gesprächspartner über das HiFi-Stereo-System in den Wagen geleitet wird. Es war traumhaft. Es war die Büchse der Pandora. Die Telekommunikations-Fliegenfalle. Sicher kam ich in Hamburg an, und auch ein bisschen stolz. Wie John Wayne, nachdem er mit einem BMW quer durch Deutschland gefahren ist. Ich glaube, ich lief sogar breitbeinig.
Wochen später kam die Rechnung. 1.120 Mark. 180 Mark für das Wochenende mit dem Wagen. Und 940 Mark Telefonkosten. Neun. Hundert. Vierzig. Mark. Schade, dass der BMW keine drolligen Augen hat. Ich hätte sie ihm gern ausgekratzt.
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