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Archiv-Artikel

die taz vor zehn jahren über eine massendemonstration gegen die front national in straßburg

Ist es wirklich nötig, jedesmal wenn die Front National auftritt, zu demonstrieren? Ganz egal, ob die Rechtsextremen wenige oder viele Militante aufbieten, Basismitglieder oder Prominente? Ob sie es unter der Woche oder an Feiertagen tun? Und trotz des Risikos, sie damit in ihre Lieblingsrolle zu drängen – die des Opfers, das allein gegen den Rest der Französischen Republik kämpft?

Die Antwort lautet ja. Es ist nötig, daß die Zivilgesellschaft reagiert. Daß sie tut, was die politische Klasse Frankreichs über 15 Jahre lang versäumt hat.

So ist die Demonstration in Straßburg, die stärkste Mobilisierung, die es in Frankreich je gegen einen Parteitag gab, die beste Antwort auf Le Pen, die Frankreich gegenwärtig zu bieten hat. Je größer sie wird, je breiter ihr politisches Spektrum ist, desto besser.

Sicher, die heutige Demonstration ist vor allem moralisch. Viele werden Parallelen zwischen den Vichy-Kollaborateuren und dem heutigen Frankreich ziehen und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Antisemitismus und Rassismus zeigen. Aber eine Demonstration kann eben die sozialen Probleme nicht lösen, die der Nährboden für Le Pen sind. Sie kann weder die Arbeitslosigkeit beheben noch die korrupten Politiker amtsentheben. Sie kann sich moralisch gegen die Rechtsextremen empören. Und das ist schon sehr viel.

Genau wie Österreich – das andere westeuropäische Land mit einer starken rechtsextremen Partei – hat Frankreich sich jahrelang in der Rolle des Opfers des Faschismus gefallen. Anstatt die eigene Mitveranwortung aufzuarbeiten und den eigenen Faschismus und Antisemitismus zu bekämpfen, pflegte man den Mythos der Résistance. Nun wächst der Widerstand gegen die rechtsextremen Bestände, die ebenfalls Nährboden der Front National sind. Das ist zwar ein spätes, aber trotzdem positives Zeichen.

Dorothea Hahn in der taz vom 29. 3. 1997