die taz vor 14 jahren: Das Heroische und das Nützliche

Brechts Galilei war der Meinung, daß jene Zeiten glücklich zu nennen wären, die keiner Helden mehr bedürften. Man solle, so Brecht, nicht fragen, ob ein Mensch groß, sondern ob er nützlich gewesen sei.

Nützlichen Leuten setzt man keine Denkmäler. Man macht von ihren Ideen und Erfindungen Gebrauch. Aber diese materialistische Einsicht hatte stets mit metaphysischen Bedürfnissen zu kämpfen – schon bei Marx, dem Nüchternen. Die Kommunekämpfer waren für ihn „auf ewig eingeschreint in die Herzen der Arbeiterklasse“. „Auf ewig“ sollte im Mausoleum am Roten Platz der Leib des Staatsgründers Lenin präsent bleiben. „Ewig“ sollte die Freundschaft zwischen der Sowjetunion und der DDR dauern, ein klein wenig Ewigkeit sollte auch von Tomskis ungeschlachtem Werk am Leninplatz ausgehen.

Jetzt hat die Wirklichkeit die Ewigkeit eingeholt. Was tun mit dem Denkmal? Nicht nur sein ästhetischer, mehr noch sein praktischer Gebrauchswert sind gleich Null. Man kann sich nicht draufsetzen, ihm nicht einmal von einem der angrenzenden Hochhäuser aufs Haupt spucken. Das unterscheidet die Statue unvorteilhaft vom Denkmal der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, dessen Entfernung vom Marx-Engels-Forum am Berliner Alexanderplatz schon am Protest der ruhebedürftigen Touristen scheitern würde. Nichts von Lenins List, Ironie und historischer Geduld findet sich im Protest der Denkmalsbewahrer. Nur jener Gestus des Trotzes, der für sich auch noch das Prädikat „geschichtspädagogisch wertvoll“ in Anspruch nimmt.

Christian Semler, 5. 11. 1991