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Archiv-Artikel

die taz vor 10 jahren über mögliche vorteile des späten ladenschlusses

Was haben sie gestänkert, die Amerikaner und Wirtschaftsliberalen. Mit unserer Behäbigkeit, der „german disease“, würden wir sitzenbleiben auf unseren Arbeitslosen, sure. Zu hohe Löhne, zu unflexibel, und der Beweis war stets: der Ladenschluß! Viereinhalb Millionen Arbeitslose haben die Deutschen, „but you can't buy milk on sunday!“ Dazu gehörten die Berichte heimgekehrter New-York-Touristen, die sich in Manhattan nachts um drei bei übermüdeten koreanischen Einzelhändlern eingekauft hatten und von deren Kundenorientierung schwärmten. Mit diesem Geschwätz ist Schluß – das ist das Gute an der Aufhebung des alten Ladenschlusses.

Die dreifach Belastete – Hausfrau, Mutter und Berufstätige – hat es ohnehin immer gewußt: Einkäufe lassen sich prima schon vor halb sieben Uhr erledigen, bevor die Kinder zu Abend futtern und das Sandmännchen sehen wollen. Komfortabel ist es allerdings, für den Kauf einer Two-in-one-Jacke einmal im Jahr abends nach sieben durch leere Edelkaufhäuser schlendern zu dürfen. Dort trifft frau auf ein paar gutaussehende Singlemänner, die offenbar das gleiche denken: Man muß ja nichts kaufen. Praktisch ist es auch, in Notfällen am Samstag um 3 Uhr nachmittags den Käse für das spontan anberaumte Raclette-Essen besorgen zu können. Wunderbar, für solche Fälle gleich ganze Kaufhäuser offen halten!

Kaufen ist Erlebnis, nicht Versorgung, das wußten RentnerInnen schon immer, die den Wocheneinkauf geschickt auf mehrere Tage verteilen und auch die Schlange samstags am Wurststand nicht missen wollen. Zum Glück bleiben diese Schlangen auch nach Aufhebung des Ladenschlusses erhalten. Wann sonst kann man den anonymen Augengruß üben, den Gruß der Kieznachbarn, die sich nie sprechen? Warten verbindet.

Schön ist am Ladenschluß, daß jeder die normalen Einkäufe immer noch zu den alten Öffnungszeiten erledigen darf. Aber eben nicht muß. Das ist Freiheit.

Barbara Dribbusch, 1. 11. 1997