die stimme der kritik: Betr.: Franz-Josef Wagner und das Putzen
DIE KRAFT AUS DEM BECKEN
Thema heute: das Putzen. Brisant, nicht wahr, wie jeder bestätigen wird, der in einem gemischtgeschlechtlichen Wohnverhältnis lebt. Aber auch innovativ. Man könnte zum Beispiel über den Bedeutungswandel das Ausdrucks „die Platte putzen“ nachdenken. Früher hieß das einfach: verschwinden. Heute bekommt man E-Mails von der EDV-Abteilung, dass man „die Platte putzen“ sollte; und dann muss man Dateien auf seiner Festplatte wegwerfen. Haben da, lieber Herr Schirrmacher, die Intellektuellen Europas mal wieder den Anschluss verpasst? Das Putzen auf dem Weg in die Virtualität?
Wenn’s nur so wäre! In Wirklichkeit aber muss man leider wirklich putzen, und – Hand aufs Herz! – ist es nicht so, dass wir bei Menschen, die das gerne tun, sofort eine schlimme Kindheit vermuten? Gerne wüssten wir etwa, welches Trauma Franz-Josef Wagner umtreibt, der nämlich, wie die Zeitschrift AD Architectural Digest meldet, in einer „aufgeräumten, klaren Wohnung“ lebt. Da es im deutschen Journalismus in puncto Wahrheitsgehalt zur Zeit sowieso bunt zugeht, schreiben wir nun einfach mal auf, was Wagner, der B.Z.-Chefredakteur, in seiner Freizeit treibt:
Erst legt er sich einen Putzlappen auf das Knie, um ihn schon mal zu befühlen. Dann übt er die richtige Atmung beim Putzen. Nach dem Ausatmen lässt er den Kiefer fallen, auch wenn das blöd aussieht. Dann wringt er den Lappen aus und beißt dabei bloß nicht die Zähnen zusammen, weil das nämlich verbissen machen würde. Anschließend wischt er mit ausladenden Bewegungen in der Art orientalischer Frauen den Boden. Diese Frauen holen die Kraft aus dem Becken; und mit Beckenschwüngen kennt Franz-Josef Wagner sich aus.
Das alles sind übrigens Putztipps, wie man sie bei Katharina Zauggs und ihrem dreistündigen Animationskurs „Kessel, Klang und Besen“ in Bern kennen lernen kann. Franz-Josef Wagner muss den Kurs besucht haben. Was sollte die Nachrichtenagentur dpa sonst bewegen, ausführlich Berichte über Frau Zauggs an alle Zeitungen zu schicken, wie es gestern geschah? Seltsam. Man kann manchen Kollegen schon verstehen, wenn er sich einleuchtendere Nachrichten lieber selbst erfindet. DIRK KNIPPHALS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen