die stimme der kritik: Betr.: Wasserbillig
Die Polizei und Hollywood
Wurde eigentlich der Polizistentrick von Wasserbillig schon genug gewürdigt? Nein. Dabei liegen medientheoretische Obertöne auf der Hand. Den Geiselnehmer mit einer in der Kamera eingebauten Pistole niederstrecken – wer sich das ausgedacht hat, muss einfach zu viel Hollywood geguckt haben, und zwar, um genau zu sein, zu viel Kevin Costner.
Merkwürdig, dass in diesem Fall noch niemand mit der Nachahmungsthese zur Hand war. Sobald ein Jugendlicher einen anderen niedersticht, ist sofort zu lesen, welche Filme ihn dazu angestiftet haben. Dass die Polizei in Luxemburg aber offensichtlich „Bodyguard“ auswendig kennen muss, das will keinem auffallen. Liegt es wirklich nur daran, dass die Gewalt von den Guten verübt wurde? Oder nicht doch eher daran, dass hier keine Splatterfilme und keine Subkultur moralisch zu verwerfen wären, sondern die gute alte Cinemaxx-Familienunterhaltung? Die Parallele ist jedenfalls zu offensichtlich. Der Böse schleicht sich im Film schließlich in die Oscar-Verleihung, um mit einem in die Kamera eingebauten Gewehr Whitney Houston zu erschießen. Sondereinheiten der Polizei gehören ganz bestimmt zu den bevorzugten Nutzern dieses Films. Klasse, das müssen wir auch mal machen, hat sich sicherlich ein Szenarioplaner der Polizei gedacht. Von Hollywood lernen!
Na ja. Es war vielleicht doch noch anders. Man kann den Trick von Wasserbillig nämlich durchaus auch als medienkritische Tat lesen. Denn über die unguten Verbindungen von Leben und Medien zu meckern, das gehört doch heutzutage zum Allgemeingut. Wie könnte man sie besser deutlich machen als durch die Kombination von Kamera und Pistole? Dann wäre die Kinderbefreiung nur der Begleiteffekt eines medienkritischen Happenings gewesen, das allerdings surrealistisch den Bereich der Kunst überschritt. Nicht auszudenken, was André Breton alles gegeben hätte für die Möglichkeit, dies straffrei tun zu dürfen.
So etwas ist der Polizei nicht zuzutrauen? Schauen Sie sich mal die spacigen Uniformen unserer Polizeieingreiftruppen an. Wie in „Mad Max“. Sehen Sie! Mag sein, unsere Polizisten sind nicht auf dem neuesten Stand der Medientheorie. Die avancierte Medienanwendung aber beherrschen sie ebenso gut wie jedermann. DIRK KNIPPHALS
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