piwik no script img

die stimme der kritikBetr.: Kunden, die sich dieses Buch gekauft haben, haben sich auch diese CD gekauft

Individualität ist teilbar

Früher gab es einen Laden, in dem man sich Bücher kaufte, und einen anderen, wo man sich seine Platten besorgte. Da gab es natürlich auch viele Leute, die sich die gleichen Bücher und Platten kauften und damit Haltung und Geschmack dokumentierten – nur lernten die sich erst abends in der Kneipe kennen.

Heute ist das anders. Da gibt es mit Amazon.de ein Internetkaufhaus, in dem man sich alle modernen und weniger modernen Kulturgüter auf einmal kaufen kann – ganz bequem per Mausklick. Und weil es nahe liegt, bietet Amazon.de einen besonderen Service: „Kunden, die dieses Buch gekauft haben, haben auch diese CD gekauft“ und umgekehrt. In die Kneipe braucht man nun nicht mehr, um rauszufinden, mit wem man denselben Geschmack teilt. Individualität ist eben beliebig teilbar, und wer mitreden will, braucht Infos, Infos, Infos.

Wer sich also das Buch „Öfter, länger, besser. Sextips für den Mann“ bei Amazon.de bestellt hat, hört auch B. B. King und „Cafe Del Mar Vol. 7“ und hat auch Bücher wie „Mehr Spaß am Sex. Wie Männer bessere Liebhaber werden“ zu Hause rumliegen. Alles logisch. Kompliziert wird’s erst, und da wird das Konsumenten-Kartografieren richtig lustig, wenn sich auch die Käufer von „Generation Golf“ den „Cafe Del Mar Vol. 7“-Sampler besorgt haben und bei jedem der unzähligen Harry-Potter-Bücher wieder B. B. King auftaucht: Haben die Leser von Illies, Potter und den Sexberatern denselben Musikgeschmack? Wenn ja, warum haben sie nicht dieselben Bücher gekauft? (Bei Illies sind es Kracht, Buschheuer, Stuckrad-Barre, bei den Potter-Bänden natürlich andere Potters.) Warum lesen laut Amazon.de die Hörer von De La Soul „Generation Golf“, warum aber hören die Leser von „Generation Golf“ nicht De La Soul? Warum kaufen die, die sich den neuen Duden gekauft haben, überhaupt keine CDs? Wie passen Madonna und Bret Easton Ellis zusammen? Wieso schreibt niemand eine Rezension von Michael Kumpfmüllers erstem Buch „Der wunderbare Hund“, das bei Amazon.de auf Verkaufsrang 464.558 steht (ein Käufer?).

Vielleicht klärt uns Amazon.de eines fernen Tages einmal darüber auf; Transparenz und Verkaufserfolge waren schon immer ein gutes Gespann. Oder mit 5 Sterne Deluxe (Buch: „Die Kunst des Krieges“ von Sunzi) gesprochen: „Die Leude wollen das was passiert, die Leude wollen das was passiert . . .“

            GERRIT BARTELS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen