die stimme der kritik: Betr.: Das Weihnachtsmenü der Bahn
Internationale Überraschungseier
Zum 3. Mal in kurzer Zeit müssen wir hier, gegen allen Trend, unsere Bahn loben. Für die neue Kulinarik der ICE-Bistros. Dort fällt unser Blick zwangsläufig, weil die Fenster nach wie vor so großzügig kinder- und zwergengerecht niedrig angebracht sind, auf die neue raumgreifende Speisekarte an der Wand. Sie ist üppig gestaltet, wartet mit echten Novitäten auf (Kakaotrunk) und kommt sehr internationalistisch fünfsprachig und vielpreisig daher. Heißt: Man kann jetzt, kurz vor Euro-Einführung, in sechs Währungen zahlen. Das ist schön.
Die kulinarischen Überraschungseier zur Weihnachtszeit, je nach Sprache recht freizügig heterogen, halten auch für den verwöhntesten Gaumen eine Alternative zu Bahners legendären wie schienenharten Nuremberger resp. Norimberganer Rostbratwursten aus der Mikrowelle bereit: Als Brite wählen Sie vielleicht die „hearty goulash soup“, die der Deutsche als „Deftige Gulaschsuppe“ goutiert, Franzosen und Italiener aber ohne Deftigkeit oder Heartyness nur als Gulaschsuppe. Danach vielleicht ein paar Debreziner, die alle bekommen, nur der Brite nicht mit herkunftsfreien „spicy sausages“.
Währungszocker machen in Mitropas Polyglott-Shop tolle Schnäppchen durch Preisvergleiche, denn DM ist selten gut. Oft lohnt Lire-Zahlung (vor allem Cola), manchmal ist auch der Franzosenfranc am günstigsten. Falls der Schweizer Frankenkollege mal wieder fällt, sind große Gewinnmargen möglich. Übrigens: Pringles, die in dieser Gourmetwelt unter „Gebäck/Süßwaren“ (englisch: „Cakes/Sweets“) laufen, gehen am besten in Gulden – da spart man fast einen Groschen.
Bei Getränken hemmen Deutschkenntnisse die Überraschungslust. Etwa beim Hefeweißbier, was der Franzose als biere blonde bavaroise bekommt, der Brite als wheat beer, der Holländer als Witbier, der Italiener als birra bionde fermentata. Bedauerlich, dass Weinbeschreibungen („markant, ausdrucksvoll“ der Rheinhesse, „elegant, vollmundig“ der Argentinier) leider keine Übersetzer fanden.
Und: Was mag etwa der Italiener vom „Nordhäuser Doppelkorn“ erwarten? Und der US-Gast vom „Rotkäppchen“? Wieder daheim in Alabama oder Alabasta wird er nicht erzählen können, ob der Deutsche seine famous Märchenfiguren nur leer saugt oder sogar schlachtet. And what the hell is a Prinzenrolle? Darüber, im Falle Charles, grübelt der Brite schon lange. Aber essen!??
BERND MÜLLENDER
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