die stimme der kritik: Betr.: Ich bekenne (1)
Rupert Scholz und die barbusige Dame
Die Zeit der großen Bekenntnisse ist gekommen. Die Zeit, da alle reumütig zugeben, in den 70er-Jahren mit potenziellen Terroristinnen eine Frühstückskanne Kaffee geteilt oder einen Buback-Nachruf gelesen und sich danach nicht ausgespeit zu haben. Also werde auch ich bekennen. Ich will nicht länger Nacht für Nacht schlaflos mit meinen Sünden von ehedem zubringen müssen.
Es muss im Frühjahr 1975 gewesen sein, als ich als damaliger Student im Fachbereich Rechtswissenschaften der Freien Universität Berlin einen vergessenen Schreibtisch entdeckte, in dem alle möglichen rechtschaffenen Juraprofessoren alle möglichen Ausflüsse ihrer Intelligenz hinterlassen hatten. Unter anderem eine Karte aus einem Sex-Lokal in Kalifornien. Auf der Vorderseite war eine barbusige Dame abgebildet, die ganz offensichtlich den Gefallen von Rupert Scholz gefunden hatte. Jenem Scholz, der weiland einer der ärgsten und reaktionärsten Rechtsprofessoren in Berlin gewesen war, später dortselbst Senator für Justiz und Bundesangelegenheiten, noch später unter Kohl glückloser Bundesverteidigungsminister, jetzo nur noch CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Rechtsausschusses. Rupert Scholz also hatte offenbar einen seiner Berliner Jurakollegen mit seinen Erlebnissen in süßen kalifornischen Nächten beeindrucken wollen. In schönstem Lübke-Englisch hatte er am Rande des blanken Busens notiert: „Is nice to see her, hey?!“
Natürlich hätte ich das Briefchen dort liegen lassen sollen in seinem ewigen Schreibtischgrab. Natürlich hätte ich es mir nicht klammheimlich (!) in die Hosentasche stopfen dürfen. Natürlich war es hinterhältig, Rupert Scholz’ lyrische Erstversuche dann auch noch in einer Spontizeitung zu veröffentlichen – in dem Sprachrohr des „Sozialistischen Arbeitskollektivs“ („SAK Jur“), das damals den Fachbereich Rechtswissenschaften unterwühlte. Natürlich war es gemein, den braven Rechtsprofessor Scholz auf diese Weise dem Gelächter und Gespött der gesamten Universität und von halb Berlin auszusetzen. Is nice to see him so, hey?!
Aber ich habe es getan. Und, schlimmer noch, ich habe mich damals nicht einmal geschämt. Das hat Prof. Dr. Rupert Scholz dafür umso gründlicher übernommen. Niemals, nirgendwo gab es auch nur den Hauch einer Reaktion von seiner Seite.
Aber vielleicht ja von seiner Frau.
FRANK-HERMANN PIEPER
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