die stimme der kritik: Betr.: Panaschieren in Hessen
Wie DIHT-Präsident und freiwillige Feuerwehr zu neuen Würden kamen
Stimmzettel, so groß wie Konzertplakate: Die armen Hessen, das kann ja nur schief gehen! Doch nun ist die Kommunalwahl ausgezählt, und es stellt sich Überraschendes heraus: Die Wähler haben das neue Panaschieren bestens begriffen – nur die hessischen Politiker nicht.
Beispiel Melsungen: Der FDP fehlte noch ein bisschen Namensglanz auf ihrer kommunalen Liste. So lag es nahe, den neuen DIHT-Präsidenten Ludwig Georg Braun zu fragen, ob nicht er die Liberalen schmücken wolle – natürlich auf einem ungefährlichen Listenplatz ganz hinten. Ein schöner Plan, leider aus einer anderen Zeit. Denn als die Wähler höchst erfreut den Namen Braun entdeckten, konzentrierten sie parteiübergreifend ihre Stimmen bei ihm – und panaschierten ihn nach vorn. Jetzt ist DIHT-Braun ungewollt Gemeindepolitiker und darf sich mit den örtlichen Kindergärten beschäftigen.
Ähnlich erging es Tarek al-Wazir. Im Hauptberuf ist er der grüne Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag. Nur mal vorübergehend wollte er die grüne Liste in Offenbach aufpeppen. Ebenfalls hinten. Doch schwupps: Schon haben ihn die glücklichen Wähler – Prominenz ist im Lokalen ja selten – in den Stadtrat expediert. Damit ergibt sich für die Grünen eine bislang ungeahnte Prinzipienfrage: Bekanntermaßen sind Amt und Mandat zu trennen. Doch was gilt, wenn ein Funktionär plötzlich zwei Mandate hat?
Aber es wurde nicht nur hinein-, sondern auch hinauspanaschiert. Im Fachwerkstädtchen Bad Sooden-Allendorf traf es den SPD-Fraktionsvorsitzenden. Bewährter Mann, emsiger Gremienarbeiter, unersetzlich. Leider kannten ihn zu wenige. Und schwupps, rutschte er von Platz eins ins Nichts. Dafür gelangte aber der Stadtapotheker in den Gemeinderat, zum eigenen Entsetzen. Der Senior, weit über 70, wollte nur die Liste der FDP auffüllen, wieder mal ganz hinten natürlich. Ihm wurde zum Verhängnis, dass er einmal im Jahr das beliebte Erntefest organisiert. Er ist so bekannt wie sonst nur noch die Vorsitzenden der freiwilligen Feuerwehr – die übrigens auch alle gewählt wurden, sobald sie aus Versehen in ihren Gemeinden kandidierten.
Hart traf es auch den Biobauern des Ortes. In Zeiten von BSE und MKS waren die Wähler so entzückt, seinen Namen auf der Liste wiederzufinden, dass sie ihn nicht nur in den Gemeinderat schickten – sondern gleich auch noch in den Kreistag. Dabei hat der neue Doppelparlamentarier mit seinem Biohof schon genug zu tun.
Übrigens: Nur ein Drittel aller Wähler in Hessen hat panaschiert. Wenn nächstes Mal auch der Rest das neue Instrument entdeckt, kann es richtig spannend werden. ULRIKE HERRMANN
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