die stimme der kritik: Betr.: Österliche Rituale
Alice und Bronson sind für uns gestorben
Die Vorbereitungen auf das Osterfest haben begonnen. Die kirchliche Jugendbildungsstätte im Klostergut Volkenroda gab zum Beispiel bekannt, bis zum Wochenende 17 Lämmer aus „ökologischer Tierhaltung“ schlachten zu wollen. Und in dem idyllisch in der Fränkischen Schweiz gelegenen Ort Bieberbach bemalen die Frauen des Heimatvereins schon seit Wochen in ehrenamtlicher Arbeit zehntausende von Eiern, die den Osterbrunnen des Ortes schmücken sollen. Nicht weniger Engagement ist aus dem Berliner Bezirk Blankenfelde zu vermelden. Hier wurde in der Nacht zum Palmsonntag ein vorösterliches Opferritual begangen, in deren Mittelpunkt zwei Kaninchen standen. Eine sorgfältige Wahl: Die größeren Brüder der Kaninchen – die Hasen – sind über die byzantinische Tiersymbolik bekanntlich zum Ostertier par excellence geworden. Da sie aufgrund einer anatomischen Eigenart auch im Schlaf ihre Augen nicht schließen, erinnern sie auch nichtorthodoxe Gläubige bis heute an den Erlöser, der mit seinem Tod das Leben gebracht hat. Zu Beginn der Karwoche, die ja traditionellerweise dem Gedächtnis an Leiden und Sterben Christi gewidmet ist, machten sich die beiden dort ansässigen Rottweiler Alice und Bronson nach einem mitternächtlichen Spaziergang durch die beschauliche Nachbarschaft an dem Kaninchenstall von Sven L. zu schaffen.
Puschel und Kuschel, so der Name der beiden Kaninchen der Rasse „Deutsche Riesen“, starben durch Genickbisse. Auf einem Foto, das die für Kompetenz in religiösen Bildprogrammen bekannte Berliner Boulevardzeitung B.Z. auf ihrer Titelseite druckte, waren die weit geöffneten Augen der Kaninchen klar zu erkennen. Die Ausrichter dieser spontanen Mitternachtsmesse allerdings bekamen umgehend den Undank ihrer den christlichen Traditionen offenbar kaum noch verpflichteten Umwelt zu spüren. Ein Anwohner alarmierte die Polizei, die um 0.30 Uhr am Kaninchenstall eintraf und sogleich aus dem Fahrzeugfenster das Feuer auf die ehrenamtlichen Opferpriester Alice und Bronson eröffnete.
Es ist eine Schande, aber die B.Z., die die gesamte Aktion zusammen mit einer Anzeige für eine „bunte Ostereiersuche“ im Steglitzer „Osterhasendorf“ dokumentierte, hat für die Blankenfelder Passion nur Spott übrig: „Zwei dumme Kampfhunde erschossen – Das haben sie nun davon.“ KOLJA MENSING
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen