die stimme der kritik: Betr.: Verlotterte Seefriedhöfe und verwaiste Kinderheime
Adieu, Forintenkacker, hallo, Eurosparbüchse
Ach, wie urlaublich wird einem doch ums kalte Herz, wenn man seine übrig gebliebenen Centimes, Lire, seine Kronen und Cents und Forints (in meine persönlichen One-Liner-Annalen trug sich weiland eine Freundin ein, als sie vor dem Ungarnurlaub sagte, „da nehmen wir uns einfach einen Forintenkacker mit“) in die kleinen, bemalten Sammelbüchsen stopft, die in den Sparkassen und Postämtern auf „Ihre Urlaubskasse“ warten.
Sanft ruht man auf einem Gutes-Gewissen-Ruhekissen, weil man damit gerade wieder bei der Restaurierung eines ollen Friedhofs für Seebären geholfen, mindestens 15 Doppelbetten für Kinderheime gespendet oder seine Solidarität mit den Asthmakranken dieser Welt gezeigt hat.
Aber wer rettet die toten Matrosen, die heim- und bettlosen Kinder, die schwer atmenden Aerosolisten, wenn der Euro kommt? Wenn man sein Kleingeld in jedem Euroland verplempern und für Schwachsinn am Flughafen (Flugzeug-Anhänger-Mitbringsel, Schokoriegel aus genmanipuliertem Mais, peinliche Frauenzeitungen in fremden Sprachen) ausgeben kann? Oder, um noch eine Stufe zurückzugehen, was soll überhaupt in die vielen verstaubten Sparschweine, die bei den EurolandbürgerInnen zu Hause herumstehen, und in denen man seit den Interrailzeiten ungültige dänische Kronen und englische Pfünde hortet? Flohhüpfenscheibchen?
Dringend muss eine Zweitverwertung für die übrig gebliebene Kleinstwährung her, ein Masterplan zum Peanutsverklappen. Zum Beispiel könnte man die alte Tradition der dekorativen Geldgeschenke wieder aufleben lassen: „Geldgeschenke – leicht gemacht“ hieß ein Buch, das man jahrelang auf den Remittendenstapeln Deutschlands finden konnte. Darin: tolle neue Ideen, wie man aus Scheinen Gemälde bastelt, sie durch kniffeliges Falzen in Quasi-Origami-Skulpturen verwandelt oder aus Münzen dufte Ethno-Ohrringe kettelt. Dazu zwei Seiten Raum für Notizen, zum Beispiel das eigene Geburtstagsdatum.
Eine andere Möglichkeit ist das Do-it-yourself-Monopolyspiel als kollektives Familienbastelerlebnis, so eine Schloßallee könnte man schließlich auch gut für den hohen Betrag von 2.000 Lire verkaufen.
Die letzte, eindeutig gemeinste Lösungsvariante ist es, das ungeliebte Individualistenkleingeld blinden Bettlern in den Hut zu schmeißen. Pfui, pfui, pfui. Dann doch lieber in den Trevibrunnen damit.
JENNI ZYLKA
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