die stimme der kritik: Lesen, Rechnen, Liebemachen, Biertrinken: Nichts geht mehr
Der Deutsche in der Krise
Was ist mit uns Deutschen los? Warum sind wir so grottenschlecht? Schon vor einem Jahr haben wir fehlende mathematische Kompetenz eingeklagt, wir liegen unterhalb der Mindestkenntnisse. Kein deutscher Schüler kann vierstellig unfallfrei substrahieren oder Dreisatz rechnen. Ein Pfund Bohnen kostet 1,25 Euro, wie viel kosten sie bei Aldi, wo alles 20 Prozent billiger ist? Keine Ahnung! Setzen! Und jetzt die Lesekatastrophe mit schwerem Buchstabensalat und „erheblichen Schwächen im Reflektieren und Bewerten“ (FAZ). Goethes Ur-Ur-Enkel: den Kopf nur zum Haareschneiden, im Hirnkastel allein zu Haus. Finnen, Kanadier, Neuseeländer hängen uns locker ab. Lehrerinnen weinen: Die Aufsätze ihrer Kinder seien Stammeleien von Comix-Kürzeln und Computer-Gimix. Ich Deutsch, urgggh, nix verstehn, schluchz. Dafür wird schon mit 12 gekifft, dass der Schulranzen wackelt.
Dass wir weder lesen, schreiben noch rechnen können, wäre ja halb so wild. Aber die „weit unterdurchschnittliche“ (dpa) Performance auf der Penne ist nur die Spitze der rot-grünen Laterne. Wirtschaftswachstum? Wir sind Schlusslicht in Euroland. Selbst der Grieche pustet mehr aus seinem verrußten Schornstein als die Wirtschaftsmacht der Thyssens und Siemensianer. Allein der Inder hält unsere Computerzentren aufrecht, wir kämpfen gegen den Abstieg.
Auch beim Fußball. Mit Ach und Krach zur WM, wo uns selbst Saudis und Kameruner rauswerfen können, unser bester Mann heißt Tante Käthe. Selbst im Biertrinken, unser aller Lieblingsdisziplin, sind wir weg vom Fenster. Belgier und Tschechen zapfen uns ins dritte Glied. Liebe machen? Amerikaner und Franzosen können es besser. Wir liegen mit Ringelsöckchen bei gelöschtem Licht abgetörnt im hinteren Mittelfeld. Gesundheit? Im internationalen Vergleich sind wir teuer und krank.
Was bleibt? Die nackte Angst. Wir Deutschen seien Panikweltmeister, sagen die Soziologen, hätten ständig die Hose voll. Neben dem Verbrauch von Mineralwasser und Tempotaschentüchern (wir weinen zu viel) ist das unsere letzte Spitzendisziplin. Angst essen Deutschland auf. Daher der Angsthasenfußball. Und die Schulangst, die jeden Kompetenzerwerb lähmt. Gibt es einen Ausweg? Wir brauchen „klarere Leistungsanforderungen“, sagt die FAZ. Gut, wir fordern ganz klar: Wir müssen wieder Weltmeister werden. Erst mal nur im Fußball. Lesen und Schreiben kommt dann automatisch. MANFRED KRIENER
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