die ortsbegehung: Wer beichtet denn heute noch in Berlin?
Die Suche nach Bußfertigen führt zum Beichtstuhl der Herz-Jesu-Kirche in Prenzlauer Berg. Doch es beichtet keiner. Gott sei Dank hat unsere Autorin einen Experten zur Hand
Aus Berlin Katharina Granzin
Wenn das Festnetztelefon klingelt, was ja nur noch selten vorkommt, sollte man eigentlich nicht abheben, denn es könnte der Redakteur mit originellen Themenvorschlägen sein, der anruft. Das ist auch diesmal so: „Hast du Lust, mal einen Beichtstuhl zu besichtigen und was über die Beichte zu schreiben?“, fragt er so fröhlich, dass mir nicht gleich eine schlagfertige Ablehnung einfällt.
Ich bin weder katholisch noch andersgläubig veranlagt, und Beichtstühle kenne ich nur aus Filmen. Gibt’s das denn noch, gehen Menschen in Berlin zur Beichte?
Keine Ahnung, sagt der Redakteur, aber das gehöre eben zu den Dingen, die ich herausfinden solle. Er habe sich sagen lassen, dass in der Herz-Jesu-Kirche in Prenzlauer Berg ein besonders schöner Beichtstuhl stehe, den könne ich mir ja mal ansehen …
Eine Art Missionstätigkeit
Ich stelle den Festnetzhörer zurück in seine verstaubte Station und greife nach dem Handy, um O. anzurufen, der früher mein Nachbar war und von dem ich weiß, dass er ein überzeugter katholischer Kirchgänger ist. O. ernährt seine Familie mit dem Malen von modernistischen Heiligenbildern, die tatsächlich so etwas wie Beseeltheit ausstrahlen. Ja, klar kenne er sich aus mit der Beichte, sagt er auf meine Frage und scheint begeistert, den sachkundigen Begleiter spielen zu dürfen. Bestimmt sieht er das als eine Art Missionstätigkeit.
Um sechs Uhr abends treffen wir uns vor dem Eingang der Herz-Jesu-Kirche in der Fehrbelliner Straße in Berlin-Prenzlauer Berg. Wie alle katholischen Kirchen in Berlin ist der historistische Bau, der Ende des 19. Jahrhunderts in nur 16 Monaten (!) erbaut wurde, in die Häuserzeile eingepasst. Nur evangelische Kirchen dürften in preußischen Landen freistehend sein.
O. hatte sich vorab erkundigt: Jeden Abend um 18 Uhr werde die Kirche zur „stillen Andacht“ geöffnet. Und jeden Donnerstag um dieselbe Zeit gebe es Gelegenheit zur Beichte – aber so weit muss man die Recherche nun auch nicht treiben.
Innen erweist sich der Kirchenbau als ungewohnt prächtig ausstaffiert. Anders als in den nüchternen protestantischen Gotteshäusern sind die Wände überzogen mit großdimensionierten Darstellungen von Heiligenfiguren und Bibelszenen. Eine warme, freundliche Farbigkeit bestimmt die Atmosphäre. Über dem Hauptaltar ist nur ein winziges Kruzifix angebracht, und kein leidender Gekreuzigter hängt daran. Stattdessen füllt das gigantische Bild eines sehr lebendigen, von gleißendem Gold umstrahlten Jesus die Wand darüber. Ja, schon kitschig.
Von Angesicht zu Angesicht
Den hölzernen Beichtstuhl finden wir im hinteren Bereich der Kirche, ein tatsächlich eindrucksvolles Stück voller intrikater Schnitzereien. In die beiden Türen sind Fenster eingelassen, hinter denen es momentan dunkel ist. Heute keine Sprechstunde.
„Meinst du, wir können mal reingucken?“, flüstere ich. „Na ja …“, zögert O. kurz, greift dann aber doch zum Knauf der rechten Tür und öffnet sie ein wenig, sodass wir durch den Spalt linsen können. Innen gibt es einen schmucklosen Stuhl und ein niedriges Bänkchen. Früher, hatte ich gelesen, mussten die PenitentInnen im Beichtstuhl knien – die Beichte im Sitzen wurde erst im 20. Jahrhundert üblich.
In der Trennwand zwischen den beiden Seiten des Beichtstuhls ist, ganz wie im Film, ein Fensterchen aus durchbrochenem Holzgitterwerk zu erkennen. „Das kann man heutzutage meist wegschieben“, erklärt O.; er persönlich finde es viel angenehmer, direkt von Angesicht zu Angesicht mit seinem Priester zu sprechen.
Unverzichtbare Formalitäten
Die Zielgruppe
Menschen, denen etwas auf der Seele liegt, das sie sonst mit niemandem teilen können – seien es eigene Verfehlungen oder die Zumutungen des Lebens allgemein. Katholisch zu sein ist beim Beichten eigentlich Voraussetzung, aber es besteht kein Beweiszwang.
Hindernisse auf dem Weg
Allerdings sollte man in der Lage sein, sich in korrekter Bewegungsabfolge zu bekreuzigen, sonst kann das Sakrament nicht ins Werk gesetzt werden. Richtig ist: von der Stirn hinunter zur Brust, dann von der linken zur rechten Schulter.
„Der Anfang ist immer gleich“, flüstert mein ehemaliger Nachbar, „das muss so sein, damit das Sakrament beginnen kann. Die Beichte gehört zu den sieben Sakramenten, durch die Gott sozusagen verkörperlicht oder spürbar gemacht wird. Also, der Priester legt die Beichtstola um. Wir bekreuzigen uns beide …“ und O. demonstriert es, „und ich sage, wann meine letzte Beichte war. Das sind die unverzichtbaren Formalitäten. Danach ist es ein ganz normales Gespräch. Das Beste dabei ist, dass der Priester ja dem Beichtgeheimnis verpflichtet ist. Ich kann dem Dinge erzählen, die darf sonst niemand über mich wissen!“
„Genau wie beim Therapeuten“, flüstere ich zurück. – „Nur dass es nichts kostet“, grinst O.
Lautlos schließt er die hölzerne Tür wieder. „Am Ende spricht der Priester die Formel: 'So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.’ Und mir geht’s nachher wirklich jedes Mal deutlich besser als vorher.“
Wie schön für ihn, denke ich vielleicht ein kleines bisschen neidvoll. Leise schleichen wir hinaus, um die paar anderen Anwesenden nicht in ihrer Andacht zu stören. „Wäre so ein kleiner Neid eigentlich schon eine beichtenswerte Sünde?“, frage ich O., als wir wieder draußen sind. Und er lacht: „Tja, was glaubst du?“
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