die ortsbegehung: Reine Dekoration
Ein Saal wie ein besseres Wohnzimmer und nichts so alt, wie es zu sein behauptet: Hamburgs einzige Burg ist keine echte. Konzertgänger:innen und Heiratenden ist das egal
Aus Hamburg Alexander Diehl
Verwunschen, ja, das passt. Verwunschen wirkt’s, wie Hamburgs einzige Burg da in den norddeutschen Himmel ragt: Hauptgebäude, ein Turm und ein Türmchen, teils ganz schön bröckelnd; und nach Süden hin noch etwas terrassenförmig Vorgelagertes … Moment, architektonisch passt das alles nicht recht zueinander. Dieses vom Überwuchertwerden bedrohte Ding im gehobenen Wohngebiet ist Hamburgs einzige Burg? Ja – aber.
Burg Henneberg steht im Stadtteil Poppenbüttel, gleich an der aufgestauten Oberalster. Ihr Hügel ist so eindrucksvoll nicht: nur um die 15 Meter hoch. Und zieht man erst reale Maße zum Vergleich heran, wird klar: Eine richtige Burg ist das nicht, dafür ist sie schon mal viel zu klein. Mit 42 Quadratmetern wird die Fläche angegeben, und während im großen Zwölfmeterturm mit Mühe ein Erwachsener in einer Koje unterkommt, ist der andere mit ungefähr 60 Zentimetern Durchmesser zu nichts zu gebrauchen. Auch das Hauptgebäude ist nur ein um die 23 Quadratmeter großer „Saal“, den in ein paar Metern Höhe eine schmale hölzerne Galerie umläuft.
Die Burg ist ein Nachbau, zu dem es kein Vorbild gibt; ein folly, wie es die Engländer nennen, ein eigentlich zweckloser, gerne umso exzentrischerer Bau. Eine vermeintliche Ruine war sie von Anfang an, zu den simulierten Rissen im Gemäuer kamen im Lauf der Zeit echte hinzu: Vor ein paar Jahren drohte Einsturzgefahr, eine Straße musste zeitweise gesperrt werden.
Von wegen blaublütig
Das romantische Sahnehäubchen sollte sie sein für einen benachbarten Landschaftsgarten nach englischem Vorbild. 1887 war das, da gehörte die Gegend im großen Stil einer Familie namens Henneberg; Milchlieferanten mit bis zu 150 Rindern. Weil diese Hennebergs also beinahe so hießen wie ein Adelsgeschlecht im Thüringischen, hält sich bis heute die Mär, dass da in Hamburg-Poppenbüttel ein norddeutscher Zweig jener blaublütigen Familie ansässig gewesen sei, in einer verkleinerten Kopie des Stammsitzes. Dass Bauherr Albert Henneberg (1818–1896) das Wappen der da längst ausgestorbenen Thüringer am Turm anbringen ließ, war vermutlich nicht hilfreich.
Bis 1942 im Familienbesitz, kaufte die Stadt den bröckelnden Kasten, ohne eine Verwendung zu haben; man vergaß die Burg, ließ das Grün den Hügel einnehmen. Vorläufig letzter Eigentümer ist seit 2014 Malte Jan Hager, alterslos wirkend, drahtig, schulterlanges Haar. Ein Graf ist er so wenig, wie es seine Vorgänger waren: Yogakurse gibt er manchmal in dem Saal, der keiner ist. Manchmal führt er auch Menschen übers Anwesen, etwa am jetzt anstehenden Tag des offenen Denkmals. Denen erzählt er dann, wie wenig dran ist an der so zähen Thüringenstory, und sie fühlen sich wie eingeweiht in ein echtes Geheimnis.
In seiner Burg darf Hager weder wohnen noch so richtig Gewerbe treiben – die Rechtslage. Ein Standbein des auch als „Alsterschlösschen“ vermarkteten Gemäuers sind Hochzeiten. Und solange es nicht überhandnimmt, können Brautpaare auch schon mal übernachten im sogenannten Saal.
Keine Gewinne erlaubt
Eigentlich dürfen Hager und die Stiftung, deren Teil die Burg seit 2014 ist, hier nur Veranstaltungen mit kulturellem Charakter anbieten, und das, ohne Gewinne zu machen. Dieser Tage richtet ein örtlicher Veranstalter gerade ein kleines Festival aus mit Musik- und Kinderprogramm – passenderweise wird auch „Ritter Rost“ gegeben. Richtig viele Zuschauer:innen passen aber ja auch gar nicht ins Schloss beziehungsweise in den Garten – Hager spricht von insgesamt 60.000 Menschen in rund acht Jahren Betrieb. Konzertbesucher:innen, auch Hochzeitsgäste dürfen gerne etwas spenden, was sie auch tun. Denn bei allem Behaupteten und Nachgemachten kostet so eine Miniburg zu erhalten offenbar ganz echtes Geld.
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