die liste, die droge und ich von HARTMUT EL KURDI:
An düsteren Herbstabenden sitze ich oft einsam in meinem Zimmerchen und fertige lange Listen an, mit denen ich versuche, mich psychisch noch weiter runterzuziehen. Eine meiner Lieblings-Depressions-Listen ist überschrieben mit: „Talente, die ich beim besten Willen und bei allem Selbstbeschiss eindeutig nicht besitze“. Platz eins auf dieser Liste: Lustige Bildchen malen.
Entschuldigung, aber was ist das eigentlich für eine Welt, in der ich mich mit etwas so klotzigem wie der deutschen Sprache herumplagen muss, andere aber täglich mit scheinbar leichter Hand wunderwitzige Geschichten voller drolliger Knollennasen aufs Papier werfen dürfen und dafür auch noch zu Recht einen eigenen „Perlentaucher“-Link bekommen? Ich hab doch niemandem was getan! Oder war ich etwa in einem früheren Leben ein neunschwänzigekatzeschwingender Sklavenhalter? Ein Gänsestopfleber-Produzent? Habe ich vielleicht das Opus Dei gegründet?
Direkt gefolgt wird Nichtzeichnenkönnen vom zweiten fehlenden Talent: Zimmer aufräumen. Kein Wort dazu. Zumindest nicht, bevor ich die „Aeronauten“-CD gefunden habe, die mir O. geliehen hat und die er seit Wochen taktlos zurückfordert. Als ob er nicht wüsste, wie’s um mich steht.
Meine drittschlimmste nicht vorhandene Begabung ist im Herbst besonders lästig: Drogen nehmen. Tatsache, ich kann keine Drogen nehmen, oder besser: Ich kann sie nicht ernst nehmen! Selbstverständlich betrinke ich mich gelegentlich, selbstverständlich habe ich schon so manches Cannabisprodukt konsumiert, aber das Talent zum seriösen, kontinuierlichen und exzessiven Gebrauch von Suchtgiften ist mir leider nicht gegeben. Dabei gibt es einige Ereignisse in meinem Leben, über die ich nur allzu gern den Rauschschleier der lückenhaften Erinnerung decken würde. Aber Pustekuchen, jedes demütigende Detail meines meist selbst verschuldeten Elends ist für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Auch muss ich mich jedesmal, wenn ich mich danebenbenehme, devot entschuldigen, wohingegen ich Personen kenne, die regelmäßig auf Festivitäten wahllos herumpöbeln, Menschen voll brechen, anderen ungefragt ihre Zunge in den Hals stecken oder ans Genital fassen, und hinterher heißt es nur grinsend: „Alter Falter, der war aber mal wieder stramm!“. Von Drogensüchtigen erwartet man eben nichts anderes.
Mein letzter Versuch, zum gewohnheitsmäßigen User zu werden, sah so aus: Ein Freund hatte mir eine Plastiktüte exquisiten selbst gezogenen Marihuanas geschenkt und mir erzählt, er rauche jeden Abend einen Joint, damit könne er wunderbar entspannen. Das klingt gut, dachte ich, das klingt nach einem feinen, kleinen Feierabendritual. Also rauchte auch ich täglich eine Purpfeife – und genoss es sogar. Zumindest in der ersten Woche. In der zweiten Woche ließ meine Begeisterung schon nach, und genau am 16. Tag betrat ich abends meine Küche, sah den Drogenbeutel im Regal und hörte mich denken: „Scheiße, jetzt muss ich schon wieder Gras rauchen!“. Und ich wusste, wieder einmal war ich gescheitert.
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