die kopftuchdebatte in berlin (teil 3) : Michael Lüders sieht Kleingeistigkeit
Deutsche Überheblichkeit trifft auf islamistische Propaganda
Ende September entschied das Bundesverfassungsgericht, dass muslimischen Lehrerinnen das Unterrichten mit Kopftuch nur per Landesgesetz untersagt werden kann. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) will nun per Gesetzesnovelle das Kopftuch gleich aus dem gesamten öffentlichen Dienst verbannen. Was seine Argumente mit denen islamischer Fundamentalisten gemein haben, erklärt heute der Islamwissenschaftler Michael Lüders.
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ist gegen das Kopftuch im öffentlichen Dienst, weil es zunehmend Bestandteil „einer fundamentalistisch und aggressiv nach außen getragenen Grundhaltung gegen das westliche Wertesystem und die Emanzipation der Frau ist“. Schulsenator Klaus Böger (SPD) verweist gar auf „die Werte des christlichen Abendlandes“, die sich mit dem Kopftuch nicht vertrügen.
Solche Ansichten sind nicht sonderlich originell, aber weit verbreitet. Die meisten Deutschen denken so. Mich beunruhigt dabei, dass ich diese Argumentation aus arabischen Ländern sehr gut kenne. Islamische Fundamentalisten argumentieren nahezu wortgleich, unter umgekehrten Vorzeichen. Demzufolge sind außereheliche Beziehungen oder das Tragen von Badeanzug und Bikini ein „Angriff auf die Werte des Islam, eine Verhöhnung der Tradition, eine Missachtung des Korans und der Lebensführung des Propheten“.
Gewiss, islamische Fundamentalisten instrumentalisieren das Kopftuch und machen es zur Ideologie. Aber nicht jede Frau, die Kopftuch trägt, ist eine Fundamentalistin. Die anatolischen Mütterchen in Neukölln und Kreuzberg, die sich entsprechend konservativ kleiden, sind keine Fanatikerinnen. Sie kommen aus einfachen Verhältnissen und wissen genau, dass die Deutschen sie im besten Fall ignorieren, im schlimmsten Fall verachten. Ihre Kleidung gibt ihnen Halt und eine Identität. Ein Stück Heimat in der Fremde.
Ich kenne junge deutsche Frauen türkischer Herkunft, die ein Kopftuch tragen, weil sie stolz sind auf ihre Herkunft. Sie sagen: Unsere Mütter waren Analphabetinnen mit Kopftuch und als Putzfrau gerade gut genug. Wir haben studiert und wollen Karriere machen. Wir tragen Kopftuch, weil wir den Deutschen zeigen wollen, dass Kopftuch nicht arm und dumm bedeutet. In diesem Aufsteigermilieu muslimischer Deutschländer haben Frauen mit oder ohne Kopftuch keine Probleme miteinander. Beide Seiten akzeptieren sich.
Obwohl Berlin zu den Städten mit dem höchsten Ausländeranteil in Deutschland gehört, werden Muslime auch in Berlin eher geduldet als respektiert. Beide Seiten grenzen sich voneinander ab, die Einwanderer ebenso wie die Mehrheitsgesellschaft. Die Ghettobildung in Kreuzberg und Neukölln schreitet voran. Eine Parallelgesellschaft entsteht, in deren Umfeld auch radikale Islamisten aktiv sind: „Menschenfischer“ unter Türken und Arabern der zweiten oder dritten Einwanderergeneration. Die Muslime in Berlin gehören mehrheitlich zur unteren Mittelschicht und leben in sozialen Brennpunkten. Nicht das Kopftuch ist das eigentliche Problem, sondern die kulturelle Verunsicherung und Identitätskrise, gepaart mit Zukunftsangst und den geringen Aufstiegsmöglichkeiten für muslimische Einwanderer.
Wenn übrigens das Kopftuch das christliche Abendland bedroht, dann frage ich mich, warum die Berliner Schulbehörde ihren Dauerschlaf der letzten Jahre nicht unterbrechen mochte. Der Islam ist die zweitstärkste Religion in Deutschland. Da läge es doch nahe, wenn sich die Schulbehörde mal Gedanken über einen islamischen Religionsunterricht an Berliner Schulen gemacht hätte. Genau das aber ist nicht geschehen. Stattdessen hat eine obskure islamistische Bewegung auf juristischem Weg ihre Vorstellungen von Islam-Unterricht durchsetzen können.
Wenn ich ein junger Muslim in Berlin wäre und ich hörte einerseits die Kulturkampf-Rhetorik hiesiger Senatoren und andererseits die Sirenengesänge etwa von Milli Görüs – ich wüsste sofort, welche Seite mich emotional mehr anspricht. Darin liegt die Tragik: Diejenigen, die sich im Besitz einer höheren Wahrheit wähnen, haben längst verlernt, auf Andersdenkende zuzugehen. Ihr seid okay, wir sind okay, und nun lasst uns gemeinsam darüber reden, was wir vom Kopftuch halten, welche Lösung wir finden. Überheblichkeit der deutschen Seite und Propaganda der islamistischen Seite ergänzen und bedingen sich. Irgendwo dazwischen leben die „normalen“ Muslime in Berlin und fragen sich, ob sie nun Marsmenschen sind, deutsche Muslime oder türkische (arabische) Gastarbeiter-Migranten-Flüchtlinge.
Letztendlich ist das Kopftuch ein Symbol für das Fremde, und dieses Fremde, Bedrohliche wollen die meisten Deutschen nicht akzeptieren, weil es sie in ihrer eigenen, brüchigen Identität verunsichert. Man muss das Kopftuch nicht mögen, man kann es aus sehr guten Gründen an hiesigen Schulen ablehnen. Aber man sollte all denen misstrauen, die große Worte im Mund führen und doch nur ihre eigene Kleingeistigkeit und Intoleranz meinen. MICHAEL LÜDERS
Der Autor ist Islamwissenschaftler bei der Friedrich-Ebert-Stiftung Freitag: Seyran Ates, Rechtsanwältin