die jazzkolumne: Ein Besuch im virtuellen Louis-Armstrong-Museum
Satchmo@home
Es stank nach Müll und Pisse, dort wo er geboren wurde, „Back O’Town“, in New Orleans. Hier teilten sich damals viele Leute ein Einraumklo. Im Jugendgefängnis, so gab Louis Armstrong später zu Protokoll, sei es dann besser gewesen. Das Haus, in dem er starb, war ein einfaches Vororthaus, das ursprünglich einmal als Zweifamilienresidenz gedacht war. Dass ein real existierendes Haus zwar von außen anschaubar, aber dennoch nur virtuell begehbar ist, gehört heute zu den Unzulänglichkeiten längerfristiger Projekte. Unter www.satchmo.net kann man das Haus, das Louis Armstrong und seine Frau Lucille 1943 kauften und in dem er bis zu seinem Tod 1971 wohnte, jetzt erst einmal im World Wide Web besichtigen. Bis zum Herbst 2002 soll es ein öffentlich zugängliches Museum werden. Bis dahin gibt es zwei Ausstellungen pro Jahr und eine erste Besichtigungstour – online.
Nach dem Tod von Lucille Armstrong 1983 wurde nichts wesentlich verändert. Das Haus ist in der Gemeinde von Corona, Queens, New York, gelegen und wird derzeit vom Queens College verwaltet. 1987 wurden zahlreiche Schätze gehoben, die heute in der Benjamin S. Rosenthal Bibliothek auf dem College-Campus archiviert sind. Eine Sammlung von 1.600 Schallplatten und 650 Tonbändern gehört dazu, die meisten Schachteln wurden von Louis Armstrong selbst gestaltet. 5.000 Fotografien, 120 Auszeichnungen, 5 Trompeten und 14 Mundstücke zeugen von einem bewegten Leben on the road, etwa 300 Tage pro Jahr war der Künstler unterwegs. Und jährlich kommen um die 100 Artikel zur Sammlung hinzu, so die goldbeschichtete Trompete, die King George V. of Great Britain Armstrong einst schenkte, eine FBI-Akte über den charismatischen Trompeter oder Postkarten, die Satchmo 1948 an den Detroiter DJ „Jack the Bell Boy“ schickte.
Ein kleiner Ausschnitt von zahlreichen selbst produzierten Tonbandmitschnitten ist auf der Audio-Seite von satchmo.net zu hören. So etwa eine Geschichte, die Armstrong über die Begegnung von Charlie Parker und Sidney Bechet beim Jazzfestival in Nizza 1948 zu erzählen weiß. Und ein einminütiger Hörblick auf seine Unterscheidung von guter und schlechter Musik, und warum es ratsam sei, dass man sich vor einem Konzert zu Hause warmspielt. Armstrong war viermal verheiratet, die Ehen blieben jedoch kinderlos. Zahlreich sind hingegen die Fotos, auf denen Satchmo mit Kindern und Trompete abgebildet ist.
„Pops is Tops“ heißt eine Konzertreihe für Kinder aus der Nachbarschaft, die jeden Sommer im Garten vor dem Armstrong-Haus stattfindet. Hiermit möchte man vor allem das musikalische Erbe gepflegt wissen, und zumindest sollen die Leute da ja schon erfahren, in welch denkwürdiger Gegend sie denn eigentlich leben. In den Ausstellungen des Armstrong-Archivs wird sein Wirken für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung betont und seine Rolle als internationaler Friedensbotschafter: „A note’s a note in any language.“
Das Armstrong-Haus ist als nationales historisches Denkmal eingestuft, ein Umstand, der die Museumsarbeiten nicht gerade beschleunigt. Ist dieses Projekt zum Abschluss gebracht, verspricht man sich regen Touristenandrang. Auf der E-Mail-Seite von satchmo.net schlängeln sich die Fans, ein österreichischer Trompeter kann es kaum erwarten, die Tonbänder zu hören, auf denen Armstrong seine Instrumentalübungen mitgeschnitten hat, und ein geschäftiger Engländer nennt eine rare Konzertaufnahme von Armstrong sein Eigen und möchte diese nun gern gegen Höchstgebot versteigern.
Ein Centennial-Fahrplan entpuppt sich als Muss für jene, die mitfeiern möchten. Es ist die Stunde der Trompeter. Jon Faddis, Terence Blanchard, Nicholas Payton, Wynton Marsalis – kaum überschaubar sind derzeit ihre Einsätze, um den bedeutendsten Musiker des klassischen Jazz zu ehren, der gern am ersten Unabhängigkeitstag des vergangenen Jahrhunderts geboren worden wäre. So gern, dass er sein Leben lang behauptete und vielleicht sogar glaubte, dass sein Geburtstag der 4. Juli 1900 gewesen sei.
Natürlich weiß auch Wynton Marsalis, dass der 4. August 1901 längst als das richtige Geburtsdatum von Louis Armstrong gilt. Das durch Jazzhistoriker auf Grund der Geburtsurkunde zwölf Jahre nach Armstrongs Tod „korrigierte“ Datum interessiert Marsalis jedoch nicht sonderlich. Wichtiger sei ihm das, woran Armstrong geglaubt habe, und deshalb wird er am 4. Juli dieses Jahres das Open-Air-Spektakel „100 Years Of Armstrong“ im New Jersey Liberty State Park moderieren. Wie schon im vergangenen Jahr, als Duke Ellington hundert Jahre alt geworden wäre, hält Marsalis und seine am New Yorker Lincoln Center ansässige Jazz-Institution auch bei dieser Festivitätenstaffel die Führung inne. Um beiden Daten gerecht zu werden, wurden die Feierlichkeiten kurzerhand auf über ein Jahr gestreckt. Im einstigen New Yorker Avantgardetempel Knitting Factory, der gerade das aufwendigste Jazzfestival in seiner Geschichte inszeniert, wird am 2. Juni das Musical „To Louis Armstrong“ aufgeführt. Im Apollo-Theater in Harlem wird Marsalis Ende des Jahres in der Reihe „Jazz For Young People“ ein Armstrong-Tribute spielen.
Der Publizist und Marsalis-Berater Stanley Crouch nennt Satchmo die Verkörperung „from rags to riches“, einen schwarzen Künstler, der aus der Anonymität kam und internationale Anerkennung erreichte – ein Jahrhundertheld, in einem Atemzug mit Strawinsky, Picasso und Joyce zu nennen. Das Haus, in dem er starb, war, zumindest von außen betrachtet, eher schlicht. Kurz vor seinem Tod ließ er die Holzfassade verklinkern und bot seinen Nachbarn an, auch ihnen eine neue Fassade zu spendieren. Er bat sie jedoch darum, das nicht an die große Glocke zu hängen.
CHRISTIAN BROECKING
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