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die jazzkolumneIn den Zeiten der Segregation

Black and Blue

Den Untergrund beleuchtet er mit 1.369 Glühbirnen. Der Strom ist geklaut. Der Protagonist in Ralph Ellisons Jahrhundertroman „The Invisible Man“ haust in einer Kellerwohnung in Harlem. Die Helligkeit, die er zum Leben braucht, organisiert er sich auf seine Weise. Er ist schwarz und fühlt sich unsichtbar. Dem unsichtbaren Black Man steht eine sichtbare White Man’s World gegenüber. Als Ellisons Roman im März 1952 erschien, schlug die New York Times vor, ihn „Notes From Underground America“ zu nennen. Als der afroamerikanische Schriftsteller Ralph Ellison gefragt wird, wie er Schwarzsein definieren würde, antwortet er: als Amerikanersein.

Mit „The Invisible Man“ und einigen Essays zur lebensbejahenden Bedeutung des Jazz wurde Ellison später zum literarischen Mastermind von Stanley Crouch und Wynton Marsalis. Nun hat der Kanadier Jeff Wall eine Schlüsselszene aus dem Vorwort zu „Invisible Man“ nachgestellt und fotografiert. Sein Foto mit den 1.369 Glühbirnen ist auf der documenta 11 zu sehen. Die Helligkeit beschert dem Protagonisten des Romans zwar eine temporäre Selbstgewissheit, den harten Kontrast zur gesellschaftlichen Diskriminierung im wirklichen Leben kann sie aber nicht wegbrennen. In der literarischen Vorlage hört der Unsichtbare „What Did I Do, To Be So Black And Blue?“ von Louis Armstrong.

„The Invisible Men“ spielt zur Zeit der Segregation. In seiner Autobiografie erzählt Miles Davis, dass er als acht Jahre alter Junge jeden Morgen die Sendung „Harlem Rhythms“ im Radio hörte. Da kamen dann angesagte Typen wie Jimmie Lunceford und sein Orchester – nur wenn weiße Bands gespielt wurden, dann schaltete Miles meistens aus. Der Big Band Leader Jimmie Lunceford, der vor 100 Jahren in dem kleinen Dorf Fulton, Missouri, geboren wurde, starb 1947 an Herzversagen. Gerüchte kursierten, dass er nach dem Verzehr einer Riesenportion gefüllter Paprika zusammenbrach. Ein rassistischer Restaurantbesitzer, der sich weigerte, Luncefords Orchestermusiker zu bedienen, soll ihn vergiftet haben. Miles Davis fand den Lunceford Style, die selbstbewusste Art sich zu kleiden und in der Öffentlichkeit zu bewegen, ziemlich hip. Schwarze Bands, die vor weißem Publikum spielten, beschäftigten damals vorzugsweise hellhäutige Spieler. Als der Altsaxofonist Clyde Higgins, den Davis als „winzigen, kohlenschwarzen“ Mann beschreibt, bei Lunceford vorspielte, wurde er von den anderen Musikern ausgelacht und „kleiner Affe“ genannt.

Der Pianist Joe Zawinul, der am 7. Juli 70 wird, gibt zu Protokoll, dass er die Weißen hassen gelernt habe, als er 1958 Wien verließ und in die USA zog. Seitdem lebt Zawinul in der schwarzen Community und hat jahrelang als einziger Weißer in schwarzen Bands gespielt. Das erste längere Engagement hatte er bei der Sängerin Dinah Washington. Wie wurde er als Weißer in der schwarzen Community behandelt? „Auch als ich im Süden gespielt habe, war es ganz selbstverständlich, dass ich bei Schwarzen wohnte. Die haben mich behandelt wie einen König. Man konnte in ihren Häusern vom Fußboden essen, sie haben ihre Kinder gut erzogen, das war alles sehr okay. Einmal hatte ich mit Dinah Washington einen Auftritt in Odessa, Texas, das Haus war ausverkauft, es war ein schwarzes Haus und der Besitzer war Schwarzer. Da wollte mich eine weiße Polizistin daran hindern, auf die Bühne zu gehen, und Dinah sagte, dass sie dann auch nicht singen würde, und so sind wir durch die Hintertür raus. Die Leute haben dann den Laden zertrümmert, so war das damals.“ Von 1961 bis 1970 war Zawinul Pianist und Komponist in der Band von Cannonball Adderley, die von Miles Davis beneidet wurde, weil sie im Gegensatz zu anderen schwarzen Jazzmusikern der Sechzigerjahre ein verlässliches Publikum in der afroamerikanischen Community hatte.

In einem Interview, das ich kurz vor seinem Tod mit dem Kornettisten Nat Adderley führte (er starb im Januar 2000), erinnerte er daran, dass es auch Konflikte innerhalb der schwarzen Community gab. „Zum Beispiel trat mal einer von den Black Muslims an uns heran und meinte, wir sollten nicht Joe Zawinul als Pianisten in unserer Band haben, schließlich gebe es genug schwarze Pianisten, die einen Job suchten. Ich erinnere mich noch, was Cannonball diesem Mann in seinem Antwortbrief schrieb: ‚Wenn ich dir sage, wie du deine Organisation führen sollst, kannst du mir auch sagen, wen ich in meine Band nehmen soll, doch solange ich das nicht tue, halte dich bitte mit Ratschlägen zurück. Ich stelle keine Leute ein, weil sie in dein Konzept passen oder weil sie schwarz, weiß, asiatisch oder sonst was sind. Ich stelle Leute ein, die spielen können.‘ Und zu dem Zeitpunkt gab es nun mal niemanden, der besser spielte als Joe Zawinul. So war das damals.“

Zur Projektionsfläche des rassistischen Mainstreams konnten auch Weiße werden. Zawinul erzählt von einem Gig mit Cannonball in Baltimore, bei dem Schwarze vor der Tür bleiben sollten. Zawinul wollte deshalb nicht spielen, doch der Besitzer ließ zum letzten Set das schwarze Publikum herein. Am folgenden Tag sollte der Schlagzeuger Buddy Rich dort auftreten, doch als Zawinul ihn abends im New Yorker Birdland traf, erfuhr er, dass der Besitzer des Clubs am Morgen erschossen worden war.

CHRISTIAN BROECKING

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