die jazzkolumne: Kein Fräuleinwunder: Norah Jones und Diana Krall
Milchkaffee mit Soul
Ob nun in der Werbung bei Harald Schmidt, im Konzertmitschnitt bei Arte oder im Porträtformat auf CNN: Für einen Jazzact gibt es ziemlich viel Aufriss um Norah Jones, eine 23-jährige Sängerin und Pianistin aus Texas, die bei Blue Note unter Vertrag ist. Noch. Der Rolling Stone feierte Jones als Entdeckung des Jahres, da war ihre Debüt-CD „Come Away With Me“ noch gar nicht erschienen. Jetzt, ein halbes Jahr danach, entdeckte auch Die Zeit das „Fräuleinwunder“ und damit die eigentlich schon ziemlich abgehangene Frage, ob die jungen weißen Frauen, die heute bei diversen Jazzlabels veröffentlichen, auch wirklich Jazz meinen oder doch nur den billigen Fake oder den schmuddeligen Crossover. Doch Norah Jones taugt für diesen Zugriff ebenso wenig wie Diana Krall.
Mit etwa zweijähriger Verspätung legt Die Zeit die echt prickelnde Vermutung zum Diana-Krall-Hype nahe, dass Sex und Jazz nicht wirklich zusammenpassen – zumindest dann nicht, wenn die Synthese blond ist, lange Beine hat und Lieder aus der Jugend ihres Vaters singt. Da wird schnell zum Softporno-Darsteller, wer nicht Authentizität mimen kann und noch nicht mal auf sozialkritischer Mission ist. Und natürlich tut sich in solchen Rundumschlägen auch ein bisschen Minderheitenschutz nicht schlecht. Die Variante hier: Deutscher Musikkritiker verteidigt afroamerikanische Musiktradition gegen weiße englischsprachige Sängerin. Das Stichwort „Milchkaffee“ stammt aus der New York Times und suggeriert Autorität; ins Feuilleton der Zeit gehievt, hat es bereits einen modrigen Geruch.
Krall und Jones sind schon eine Generation auseinander und haben – außer ihrer Eignung als Projektionsfläche – entsprechend wenig gemein. Die Vorgaben von Norah Jones kommen von Aretha Franklin und Joni Mitchell, von Tom Waits und Hank Williams. Sie wuchs in Texas auf, ihre Mutter sorgte dafür, dass sie Klavier lernte und die Booker T. Washington High School for the Performing and Visual Arts besuchte, wo früher auch schon Roy Hargrove und Erykah Badu waren. Seit drei Jahren lebt Jones in New York, wo sie bis vor kurzem noch am liebsten im „Living Room“ auftrat, einem kleinen Musikladen, der mit fünfzig Leuten schon gut besucht ist und ideal zu ihrer intimen Performance passt. Ihr Gitarrist Jesse Harris komponierte den Ohrwurm und Opener der CD, „Don’t Know Why“, ein Liebeslied ohne Kompromisse und Kalkül. Und auf der neuen CD der Dirty Dozen Brass Band, „Medicated Magic“, singt sie eine der besten Versionen von „Ruler of My Heart“, die es je geben wird.
Klar hat es solche Singer/Songwriter-Geschichten mit jener unaufdringlichen Melange aus Motown und Country schon öfters gegeben; meist verschwanden sie nach dem ersten Hype im Ramsch. Doch Jones ist, so scheint es, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Ein bisschen Love, Peace and Understanding und viel, viel Soul. Und, ja, eigentlich hätte ihre Mutter es gern gesehen, wenn auch Norah eine CD mit Jazz-Standards gemacht hätte, schließlich sei sie ja eigentlich eine Jazzpianistin. Doch Norah Jones winkt ab. Angesichts des Hypes um blonde Damen, die älteren Herren noch einmal die Songs ihrer Jugend auftischen, bleibt Jones cool und abwägend. Sie will die Klischees nicht bedienen. Und just zum selben Zeitpunkt, als sie noch in der Zeit verortet wird, gibt sie der amerikanischen Presse bereits ihren Abschied vom Jazz bekannt und ihren Wunsch, das Label zu wechseln.
Der Aufstieg der Norah Jones repräsentiert auch den vom Krall-Erfolg inspirierten Versuch, einer kleinen Jazzplattenfirma im Kontext eines großen Musikkonzerns das Überleben zu ermöglichen. Mit dem Produkt Diana Krall krempelte Tommy LiPuma das traditionsstarke, aber umsatzschwache Jazzlabel Verve um, das nach der Übernahme durch Universal Music das hauseigene Künstler-Line-up um die Hälfte reduzierte. Mit dem Produkt Norah Jones konnte Bruce Lundvall den Knock-out für die Jazzplattenfirma Blue Note hinauszögern, der in der EMI-Chefetage schon beschlossene Sache zu sein schien.
Darin sieht die afroamerikanische Jazzsängerin Dee Dee Bridgewater eine große Gefahr für den Jazz: Die Politik der großen Musikfirmen, nur noch in Künstler mit Crossover-Potenzial zu investieren, richte sich konkret gegen die kreativen Musiker und bedrohe ihre Existenz. 15 Millionen Dollar habe man in das Marketing von Diana Krall gesteckt, während Cassandra Wilson, Dianne Reeves und sie selbst mit Peanuts abgespeist würden. Bridgewater, übrigens bei der gleichen Plattenfirma wie Krall unter Vertrag, findet Kralls Rolle als weißen Counterpart zur afroamerikanischen Gesangselite schlicht Ekel erregend.
Das Problem scheint hierbei aber nicht nur Neid zu sein. Die Erwartungshaltung, dass Jazz auch popfähig sein kann, wenn nur genügend Menschen damit in Berührung kommen, hat sich einfach jetzt da erfüllt, wo man es am wenigsten gewünscht hat. Doch es ist nicht die falsche Etikette, die drückt, wenn die mageren Thesen nicht mehr ziehen. Die norwegische Sängerin Sidsel Endresen singt auf der neuen CD „Out Here. In There“ zur Abwechslung mal die ganze Wahrheit. Auch wenn es ihre Version von „Truth“ kaum in die Charts schaffen wird. CHRISTIAN BROECKING
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