die hölle der zwangsehe von EUGEN EGNER

R. stand schon wieder vor meiner Tür. Es konnten kaum drei Tage vergangen sein, seit er zuletzt da gestanden und meine Hilfe erfleht hatte – und zwar als Siebzehnjähriger! Wir waren inzwischen beide über vierzig, daher hatte ich mich doch einigermaßen über seine radikal verjüngte Erscheinung gewundert, ja, ihn zuerst gar nicht erkannt, obwohl wir schon in jenem zarten Alter befreundet gewesen waren. Es war, wenn ich mich recht erinnere, irgendetwas mit einem Verjüngungspräparat schiefgegangen, er hatte da weiß Gott welchen Ärger mit seiner Mutter gehabt, die Einzelheiten habe ich vergessen.

Nun war er also wieder da, ob immer noch als Knabe, weiß ich nicht mehr, ich war nie ein guter Beobachter. Jedenfalls hatte er ganz bestimmt keine Zugposaune dabei – daran würde ich mich erinnern. Ich fragte ihn vielleicht eine Spur zu unfreundlich, was denn schon wieder los sei. Sogleich fing er an zu lamentieren, er solle gegen seinen Willen verheiratet werden. Ich riss mich zusammen und bot ihm im Namen unserer langjährigen Freundschaft meine Hilfe an: „Soll ich dir eine Entschuldigung schreiben?“ Mehr konnte ich nicht tun, und das war schon weit besser, als etwa die Sache herunterzuspielen mit Sprüchen wie: „Nun warte doch erst mal ab, vielleicht ist deine künftige Ehefrau ja ein liebenswerter und schöner Mensch.“

Es reichte R. aber nicht, sondern er verlangte: „Du musst mich bei dir aufnehmen! Hier werden sie nicht nach mir suchen, dich kennt niemand.“ – „Du kannst hier nicht wohnen“, protestierte ich, „erst recht nicht, wenn du nicht wagen kannst, das Haus zu verlassen. Ich könnte dich nicht einmal einkaufen schicken. Dadurch hätte ich nicht nur nichts von dir, sondern durch dein ununterbrochenes Hiersein wärst du mir obendrein eine Last. Über ein Kurzes schon würde ich dich unfehlbar hassen. In den Wahnsinn würdest du mich mit deiner schieren Präsenz treiben. Wer weiß, mit welchen Folgen! Eine Bluttat wäre keineswegs ausgeschlossen!“ – „Na gut“, sagte R. resigniert, „dann schreib mir halt eine Entschuldigung.“ Ich schrieb sie ihm.

Für die Zeit, die ich dazu benötigte, bat ich ihn jedoch nicht herein, sondern ließ ihn im Treppenhaus warten. Einmal in der Wohnung, hätte er es sich blitzschnell überlegen können, und ich wäre womöglich nicht mehr in der Lage gewesen, den sich überall Festklammernden und bei jeder Berührung gellend Schreienden hinauszuschaffen. Mit dem Schreiben ließ ich mir wohlweislich Zeit und hoffte, er werde sich trollen, wenn es ihm zu lange dauerte. Da erst fiel mir auf, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, was ich als Entschuldigungsgrund angeben sollte. Es ärgerte mich, nicht darauf geachtet zu haben, ob er noch siebzehn war. Das nahm mir die Möglichkeit, mich einfach auf seine Minderjährigkeit zu beziehen. Andere Gründe wollten mir nicht in den Sinn kommen. Ich gab auf und ließ ihn herein: „In Ordnung, du kannst hier wohnen.“

Seither ist unser Leben die Hölle, und ich möchte R. töten. Um uns zu retten, faselt er davon, sich abends doch heimlich hinauszuschleichen, um einen VHS-Kursus zur Umarbeitung seiner Person in eine Frau zu belegen, aber das ist doch Scheiße.