piwik no script img

die evolution des musikfernsehensHARALD PETERS über anspruchsvolle TV-Präsentationsformen von Pop

Handgestricktes Sprechpuppentheater

Erst gab es den „Beatclub“, dann gab es den „Musikladen“, und zwischendurch gab es die „Disco“ mit Ilja Richter. Und auch den „Rockpalast“, den es angeblich mittlerweile wieder gibt, hat es vor Jahren einmal gegeben. Ob es „Ohne Filter“ und die anderen Sendungen, die längst vergessen sind, noch gibt, kann niemand mit Gewissheit sagen. Dass es „Formel Eins“ nicht mehr gibt, ist hingegen sicher. Dafür gibt es jetzt MTV, MTV2Pop, Viva und Viva Plus.

Bevor Viva Plus allerdings auf Sendung gehen konnte, musste Anfang des Jahres erst der Betrieb seines Vorläufers Viva 2 eingestellt werden. Wie man sich erinnert, war die Klage damals laut, denn viele sahen in dem Sender, in dem gestrickte Handpuppen zu den profilierteren Moderatoren zählten, ein Medium, das den hohen Anforderungen fernsehgerechter Musikpräsentation voll und ganz gewachsen war. Dass die Qualität der Musikpräsentation im Fernsehen auch ohne Viva 2 nicht wirklich gelitten hat, sagt in diesem Zusammenhang allerdings weniger über gestrickte Handpuppen als Moderatoren als vielmehr über die Berufsgruppe der Moderatoren an sich.

Dabei empfiehlt es sich, Moderatoren in folgende Untergruppen zu unterteilen: Es gibt diejenigen, die glauben, dass sie etwas zu sagen haben; diejenigen, die ahnen, dass sie nichts zu sagen haben, aber ihre Zuschauer glauben machen wollen, dass sie etwas zu sagen hätten; und diejenigen, die wissen, dass es eigentlich nichts zu sagen gibt, und diese Einsicht nutzen, um sich bewusst in gesteigertem Unfug zu verzetteln, denn irgendwas muss man ja tun, wenn sich die Kamera auf einen richtet (Charlotte Roche bei Viva: „Im deutschen Fernsehen darf man fluchen. Und Crack rauchen!“; Nora Tschirner bei MTV: „Ich red jetzt mal über meine Füße!“; Simone bei Viva Plus: „Hallo?“).

Die letzte Gruppen ist dabei natürlich den ersten beiden vorzuziehen, leider ist sie aber zahlenmäßig deutlich unterlegen. Woran sich zwangsläufig die Frage anschließen muss: Was will man eigentlich von Moderatoren? Im Grunde nichts! Und was will man von Musik im Fernsehen? Musik!

Da sich daraus nun schlussfolgern ließe, dass Moderatoren im Musikfernsehen überflüssig sind, wäre es da nicht konsequent und besser, ganz auf Moderatoren zu verzichten? Nicht unbedingt. Denn das Beispiel MTV2Pop zeigt, dass ein relativ schlimmes Musikfernsehprogramm ohne schlimme Moderatoren eigentlich noch viel, viel schlimmer ist – was in sich zwar ein Widerspruch sein mag, andererseits aber nicht von der Hand zu weisen ist.

Ein Weg aus dem Dilemma könnte es nun sein, auf ein anspruchvolleres Programm zu hoffen. Doch was ist schon anspruchsvoll? Man könnte beispielsweise auch die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten gemäß ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag in die Pflicht nehmen und Sendungen fordern, die auch die Sparte Popkultur bedienen.

Da es aber auch bei ARD und ZDF (sowie den dritten Programmen) eigentlich niemals Musiksendungen gab – von irgendwelchen Dokumentationen einmal abgesehen –, die nach heutigen Gesichtspunkten auch nur ansatzweise in Ordnung waren, scheint auch dies nicht wirklich klug. Wie man es dreht und wendet, es bleibt also ein Problem. Wobei das Problem eigentlich gar kein wirkliches Problem ist, da auf den Musikkanälen, so schrecklich sie mitunter auch sein mögen, im Grunde erstens von abseitigstem Spezialinteressen-Pop bis hin zu unvermeidlichster Chartmusik alles läuft, und zwar zweitens ungefähr alle drei Minuten auch noch etwas anderes.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen