die anderen über die eu nach dem gipfel: :
Die Pariser Wirtschaftszeitung La Tribune: Ist dieses Europa noch das der Bürger? Die Staats- und Regierungschefs scheinen Kompromisse immer mehr nach eigenem Gutdünken zu nutzen und die Fahne der Union nur zu schwingen, wenn es in ihre Kommunikationsstrategie passt. Drei Jahre nach dem Vertrag von Nizza ist die EU wieder abgedriftet. Europa leidet an Mangelerscheinungen: Mangel an Vision, an politischem Willen, an Elan. Man wusste, dass ein Europa mit 25 Ländern nicht mehr das gleiche sein würde. Nun weiß man, dass es zu der simplen Freihandelszone zerfallen kann, auf die seine Gegner es reduzieren wollen.
Kommersant aus Moskau: Als 1683 die Türken Wien belagerten, hat der polnische König Jan Sobieski Österreich gerettet. Als im Dezember 2003 das vereinte Europa kurz vor der Verabschiedung einer Verfassung stand, die eine zentralisierte Union geschaffen hätte, in der große Staaten mehr zu sagen haben als kleine, hat der polnische Präsident Aleksander Kwániewski die kleinen Länder gerettet. Aber für diese Großtat werden die Polen einen hohen Preis zahlen müssen. Die alteingesessenen EU-Mitglieder, vor allem Frankreich und Deutschland, werden nicht vergessen, wer die Annahme der wichtigen Verfassung hat platzen lassen.
Die Brüsseler Zeitung De Morgen: Wovor schon seit Jahren in allen Tonarten gewarnt wird, droht Wirklichkeit zu werden: Europa verwässert, versandet, läuft auf Grund. Hoffentlich gelingt es den Gründungsmitgliedern der Union, das Europäische Grundgesetz, so unvollkommen es auch sein mag, zu retten. Notfalls müssen sie die Verfassung für ein begrenztes Grüppchen von Ländern, eine Avantgarde, ausrufen. Das würde die anderen Mitgliedstaaten zwingen, Farbe zu bekennen. Eine Sache ist klar: Die erweiterte Union zeigt jetzt schon Risse. Es ist Zeit für eine neue Avantgarde.
Die Basler Zeitung: Gleich mit dem Veto zu drohen, wenn man wie Polen das erste Mal gleichberechtigt wie die alten Staaten mitstimmen kann, weckt verständlicherweise Befürchtungen über unrealistische Ansprüche der neuen Staaten. Kläglich ist allerdings das Signal, das die Regierungschefs über den momentanen Zustand der EU aussenden. Die EU ist – und wäre es auch mit der Verfassung geblieben – eine Union von Staaten und Völkern und nicht ein zentral regierter Bundesstaat. Nur wenn die EU ihr so hoffnungsvoll begonnenes Verfassungsexperiment zu Ende führt, erhöhen sich die Chancen, die vielen anstehenden Probleme Europas zu lösen.