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dichtung und wahrheit

von CAROLA RÖNNEBURG

Der Handwerker war schon zweimal da gewesen. Beim ersten Mal hatte er schnaufend den Durchlauferhitzer installiert. In der Woche darauf hatte er die Verkleidung abgenommmen, „tststs“ gemacht und das Gerät wieder an der Wand befestigt. Länger als zwei Minuten warm duschen konnte ich danach aber immer noch nicht. Also kam der Handwerker ein drittes Mal. Bei diesem Besuch puzzelte er ächzend und stöhnend den gesamten Apparat auseinander. Dann schraubte er Schlauch und Duschkopf ab und schimpfte auf den „Druck“ und die „Dichtung“. Bevor er meine vormals herrlich brausende Brause mit theatralischer Geste in den Müll warf, befahl er mir, den Dichtungsring am einen Schlauchende zu begutachten. „Da, sehen Sie. So etwas wird heutzutage überhaupt nicht mehr hergestellt!“ Selbstverständlich sah ich nichts außer einem schwarzen Gummiring. Dass der nicht mehr hergestellt wird, stimmt aber nicht. Vor kurzem weilte ich nämlich in einer Ferienwohnung mitten im Universitätsviertel von Bologna, wo eine schöne, neue Gastherme mit hellgelb leuchtendem „Zwei Jahre Garantie“-Aufkleber an der Wand hing. Die Therme funktionierte tadellos, bis sie eines Nachts das Wasser nicht mehr Richtung Badezimmer schickte, sondern selbst Dusche sein wollte: Literweise stürzte Wasser aus ihr heraus. Es rauschte über den Parkettfußboden und bahnte sich seinen Weg in die darunterliegende Wohnung. Eilig herbeigeschaffte Eimer fingen zwar die Fluten auf, doch der Monsunregen hielt an. Die Nachbarn, zwei Studenten in langen Unterhosen, T-Shirts und Filzpantoffeln, kreischten panisch vor der Tür, wollten sich aber aus Angst um ihre Hausschuhe nicht an der Suche nach dem Haupthahn beteiligen. Zwischen den Eimerwechseln hühnerte ich durch die Räume, bis ich einen kleinen Hebel in der Küche fand und die Wasserzufuhr unterbrechen konnte. Nach zwanzig Minuten extremfeudeling rückte die Feuerwehr an: Die Studenten hatten einen kleinen Riss in ihrer Wohnzimmerdecke bemerkt, ein untrügliches Zeichen für den bevorstehenden Zusammenbruch des gesamtes Hauses.

Wir wurden nicht evakuiert. Der Riss stellte sich als harmlos heraus, und der Wasserfleck war weitaus kleiner als die Verachtung der Feuerwehrmänner für die Studenten. Am nächsten Morgen kam ein Handwerker. Der Handwerker mit der Zweijahresgarantie. Er zerlegte die Gastherme in Einzelkomponenten und kratzte sich am Kopf. Als ich von einem kurzen Spaziergang zurückkehrte, legte er seine Zeitung beiseite und präsentierte mir die Ursache des Unglücks. „Hier“, sagte er und kramte umständlich mit der linken Hand in seiner ausgebeulten Hosentasche. Aus dem Wust an Klempnerkleinzeug – Dosenöffner, Schnur etc. – zog er einen schwarzen, ramponierten Dichtungsring hervor. „Da. Schlechte Qualität – eigentlich darf so etwas gar nicht mehr eingesetzt werden.“ Ich aber hatte genau aufgepasst. Zwischen Schnur und Dosenöffner klemmten noch mindestens drei weitere Dichtungsringe. Schwarz und ramponiert und für alle Fälle.

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