piwik no script img

Archiv-Artikel

der wochenendkrimi Aktenvermerkte Erniedrigung

„Polizeiruf 110: Der scharlachrote Engel“, So. 20.15 Uhr, ARD

Ein Thema, das fast immer zum Scheitern verurteilt ist: Vergewaltigung im Film. Wie zeigt man die verheerende Wirkung ausgelebter männlicher Machtfantasie auf den weiblichen Körper? Da wird Aufklärung schnell zum obszönen Spektakel, so wie in der französischen Produktion „Irreversible“, einem Folterschocker in Arthouse-Verpackung von 2002. In dem Film werden kunstbeflissen die Techniken der Pornografie nachgeahmt – ohne sie in ihrer Funktionalität zu brechen. Über zehn Minuten lang sieht man in perverser Redundanz, wie eine Frau vergewaltigt wird. Und nun?

Der heutige, in jeder Hinsicht formatsprengende „Polizeiruf“ von Dominik Graf weist viele Parallelen zu „Irreversible“ auf – von der Explizität in einer zentralen Vergewaltigungsszene bis zum Einsatz des halblegalen Rauschmittels Poppers, das der Peiniger zur Enthemmung schnüffelt. Und doch findet sich hier nicht ein Bild, das pornografischer Selbstzweck ist. Hier fügt sich noch das kleinste Detail in eine Erzählung, die männliche Projektionsmechanismen auf die weibliche Physis beleuchtet und aufzeigt, wie temporäre mediale Illusionierung fahrlässig bis mutwillig als umfassender Wirklichkeitsentwurf missgedeutet werden kann. Denn als Medienlegastheniker kann man schwer zur Rechenschaft gezogen werden, wenn man die Medien mal wieder falsch gelesen hat. Sonderbarerweise werden hierzulande immer wieder Verbote gar nicht so missverständlicher Inhalte gefordert – statt der Erziehung zur richtigen Lesart.

Graf und sein Autor Günter Schütter legen so auch einen „Polizeiruf“ von medienpolitischer Dringlichkeit vor. Es geht um eine Studentin (Nina Kunzendorf), die sich gegen Geld im Internet auszieht und in ihrer Wohnung von einem Kunden (Martin Feifel) überfallen wird, der nun vor Ort einfordert, was er so oft schon via Web bekommen zu haben glaubt. Mindestens ebenso brutal aber wie die physische Verfügbarmachung des weiblichen Körpers wirkt seine juristische Vereinnahmung während der Gerichtsverhandlung im zweiten Teil: Anhand von aktenvermerkten Körperflüssigkeiten wird das Opfer diskreditiert. Der Körper an sich ist in „Der scharlachrote Engel“ ein sonderbar abstraktes und vielfach durchleuchtetes Ding, Nähe entsteht über Gewalt, oder sie bleibt Projektion. Tauber (Edgar Selge), der einarmige und den anderen Menschen so ferne Kommissar, erinnert sich in einer der vielen grandiosen und stets mit dem Großen und Ganzen verknüpften Miniszenen, wie er als Kind sein Kaninchen an sich gepresst hat: Das Tier pinkelte ihn vor Schreck voll. CHRISTIAN BUSS