der untergang der ddr:
... erklärt von KATHRIN PASSIG
Warum es mit der DDR nichts geworden ist, bleibt für den Laien nicht leicht zu verstehen. Wie kann ein System der Planwirtschaft, auch wenn die Planung noch so unbeholfen ist, schlechter funktionieren als eines, in dem überhaupt nicht geplant wird? Wie kann ein Staat, in dem alle Bürger arbeiten, weniger produktiv sein als einer, in dem die Hälfte zu Hause bleibt? Ratlos stehen vor diesen Fragen nicht nur jene Massen, die nie auf die Idee gekommen wären, ihre Tauschmittel in Marx-Engels-Werkausgaben zu investieren. Auch Ethnologen, Wirtschaftswissenschaftler und Politikwissenschaftler haben sich lange Zeit erfolglos mit dem Thema herumgebalgt.
Dabei tragen am Untergang der DDR letztlich fünf übersichtliche Faktoren die Schuld. Da wäre erstens eine verhängnisvolle Vorliebe für Rauputz. Wer schon mal eine Rauputzwand gestrichen hat, weiß, dass man dafür gut und gern dreimal so viel Farbe braucht wie für eine glatte. Das Fassadenfarbkontingent wird so auf wenigen Wänden verprasst, während anderswo ganze Stadtteile brachliegen. Ausländische Touristen verlachen den schmuddeligen Sozialismus, anstatt sich bekehren zu lassen.
Zweitens: Der Mangel an Telefonanschlüssen und die daraus resultierenden dünnen Telefonbücher. Telefonbücher sind ein vielseitiges Werkzeug in den Händen jedes kompetenten Geheimdienstes. Aber wie will man mit den mageren Verzeichnissen der Anschlüsse von Abscheula bis Zeitzsch Geständnisse aus Staatsfeinden, Spionen und Hochverrätern herausprügeln? Da lachen die doch nur. Schutzlos ist das junge Staatswesen unsozialistischen Umtrieben ausgesetzt.
Drittens: Das Fehlen von dreifach konzentriertem Tomatenmark. Die Evolution wird an der Hervorbringung der Pizza gehindert. Das Surrogat „Krusta“ kann das Aufkommen einer international konkurrenzfähigen Hackerkultur und die Entwicklung sozialistischer Programmiersprachen nicht hinreichend befördern. Die DDR gerät soft- und hardwaremäßig ins Hintertreffen; Abkacken am Weltmarkt ist die Folge.
Viertens: Sport. Die unnatürliche Überbewertung des Sports im gesamten Staatsbetrieb der DDR führt dazu, dass es nur diejenigen in höhere, mithin staatstragende Positionen schaffen, die nicht wie geistig normale junge Menschen im Sportunterricht versagt haben. Dieses verfehlte Auslesekriterium hievt rückgratlose Zirkeltrainingsasse und sadistische Völkerballbefürworter in Entscheidungspositionen. Das kann nicht lange gutgehen.
Fünftens: das Sandmännchen. Dazu muss ich gar nichts weiter ausführen. Sandmann, lieber Sandmann, schröck schröh schröhöhöh ... das Publikum wäre unweigerlich zu Fixern, Dealern und Waffenschiebern herangewachsen, wenn nicht die Planwirtschaft das Schlimmste verhindert hätte.
Dass die DDR sich unter diesen Bedingungen überhaupt 40 Jahre halten konnte, ist ein Wunder. Wieso andererseits auch der Kapitalismus zum Scheitern verurteilt ist, wenn die Umlaute, der IKEA-Imbusschlüssel und einige Tageszeiten nicht bald abgeschafft werden, erkläre ich ein andermal.
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