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Archiv-Artikel

der stadtentwicklungsplan verkehr (teil 10) Berlin muss das Fahrrad erst noch entdecken

Auch Amsterdam wurde nur mit gezielter Förderung zur Fahrradstadt

Mit dem Stadtentwicklungsplan (StEP) Verkehr beginne ein „neues Verkehrszeitalter“, kündigte der Senat vollmundig vor einem Jahr an. Auf das Jahrzehnt der Restauration der Verkehrsinfrastruktur soll jetzt ein Jahrzehnt der „intelligenten Nutzung“ folgen. Experten, Planer und Kritiker diskutieren an dieser Stelle, immer freitags, über die Zukunft der Berliner Verkehrspolitik.

Cherchez la biciclette – muss es in der Hauptstadt heißen, denn das Fahrrad als Verkehrsmittel muss von den BerlinerInnen erst noch entdeckt werden. Andere Städte sind im Vergleich mehr auf das Zweirad gekommen, obschon Berlin ideal für das motorlose Touring ist und in drei von vier Berliner Haushalten mindestens ein Fahrrad vorhanden ist. Dennoch wird das Rad in Kopenhagen oder Amsterdam doppelt bis dreifach häufiger genutzt. Der Stadtentwicklungsplan (StEP) Verkehr setzt daher mit guten Gründen für die Zukunft des Berliner Verkehrs auf das Fahrrad: Mehr Fahrradverkehr bedeutet weniger Autos bedeutet bessere Umweltwerte in der Stadt. Bislang sind rund die Hälfte aller von BerlinerInnen zurückgelegten Wege kürzer als fünf Kilometer – dennoch werden viele davon mit dem Auto oder dem Bus zurückgelegt. Ungeachtet der Tatsache, dass es mit dem Rad oft schneller ginge.

Unsere täglichen Wege werden aber immer länger, weil unsere Wohn-, Schul- und Arbeitsorte immer weiter auseinander liegen. (siehe StEP-Serie Teil 1). Auch hier, in der Kombination mit Schienenverkehrsmitteln, ist das Fahrrad ideal für die Wege zur S- oder U-Bahn-Station. Seit die Berliner S-Bahn die Fahrradfahrer als Kunden „entdeckt“ hat, steigen diese mehr und mehr zu.

Heute werden in Berlin von den rund 10 Millionen täglichen Wegen und Fahrten in der Stadt nur knapp 1 Million mit dem Fahrrad zurückgelegt. Die StEP-Autoren halten es für möglich und realisierbar, mittelfristig die mit dem Rad gefahrenen Wege um bis zu einer halben Million zu erhöhen.

Dazu ist es zunächst Aufgabe der Verkehrspolitik, mögliche Hinderungsgründe zu beseitigen, die vom Aufsteigen aufs Fahrrad abhalten. Hinderungsgrund Nummer 1 ist vermutlich das Gefühl der Unsicherheit. Zahlen belegen allerdings Folgendes: Unfälle mit Radfahrerbeteiligung machen weniger als fünf Prozent aller Verkehrsunfälle aus. Gemessen am Verkehrsaufkommen der Radfahrer, die rund 10 Prozent ausmachen, ist das Unfallrisiko unterdurchschnittlich. Andererseits gilt, dass der Anteil der Radfahrer an den Unfalltoten mit rund 30 Prozent sehr groß ist.

Die erheblichen Lücken im Fahrradwegenetz, vor allem in der östlichen Innenstadt, aber auch in Bezirken wie Pankow und Treptow-Köpenick wirken ebenfalls nicht sehr einladend. Hinzu kommt, dass vorhandene Fahrradwege häufig in schlechtem Zustand sind. Schlecht sind auch die Angebote an Abstellanlagen: Nur ein unkomplizierter Zugang zum Fahrradstellplatz garantiert eine häufige Nutzung. Abstellplätze in Kellern sind abschreckend. In vielen Altbauquartieren, vor allem in den Großsiedlungen, fehlt es an zugänglichen und sicheren Stellplätzen. Nur wer direkt an Haltepunkten des Schnellverkehrs sein Fahrrad parken kann, nutzt bike und ride. Vor allem an wichtigen U- und Straßenbahnhaltestellen sowie an den Zielorten Arbeitsplatz oder Einkaufsstraße fehlen immer noch geeignete Fahrradparkplätze. – Ganz im Unterschied zu denen für Autos. Viele Einzelhändler haben zudem noch nicht verstanden, dass ihre Kunden auch Radfahrer sind.

Die Berliner Verkehrspolitik hat mit dem Stadtentwicklungsplan Verkehr die grundsätzliche Entscheidung getroffen, das „Gesamtsystem Fahrrad“ zu entwickeln. Im Landeshaushalt sind für 2004/2005 die notwendigen Mittel für den beschleunigten Ausbau der Fahrradinfrastruktur gesichert. Zusätzlich zur Verwaltung wurden auf Einladung der Senatsverwaltung weitere Akteure gewonnen: Der „FahrRat“, in dem Vertreter der Planungsverwaltung, der Polizei, der Verkehrsunternehmen, aber auch des Fahrradgewerbes und der Interessenverbände der Fahrradfahrer konkret vereinbart haben, was wann und von wem zu tun ist. Das Ergebnis, die Fahrradstrategie für Berlin, liegt nun auf dem Tisch und wird bereits umgesetzt. Im Vordergrund stehen die schnelle Verbesserung der Verkehrssicherheit, zum Beispiel durch die Rückverlegung der Radwege auf die Straße für die bessere Sichtbarkeit der Radler und die zügige Ergänzung von Verkehrswegen und Stellplätzen. „Holländische Verhältnisse“ werden es noch nicht gleich sein. Aber auch Amsterdam ist nur mit gezielter und kontinuierlicher Förderung zur Fahrradstadt geworden.

FRIEDEMANN KUNST

Der Autor ist verantwortlich für die Grundsatzangelegenheiten der Verkehrspolitik bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Nächsten Freitag: Stadtverträglicher Güterverkehr – gibt es das?