der sinn des rauchens von HARTMUT EL KURDI:
Ich bin der festen Überzeugung, dass mir das Rauchen mindestens einmal das Leben gerettet hat. Zugegeben, nicht ganz so eindeutig und dramatisch wie dem Philosophen und Pfeifenraucher Bertrand Russell. Der überlebte 1948 einen Flugzeugabsturz vor der Küste Norwegens nur, weil er sich im Moment des Unfalls gerade im berauchten Segment des Flugzeuges aufhielt. Während die Nichtraucher in der vorderen Hälfte sofort ertranken, gelang es den Nikotinisten im hinteren, wahrscheinlich komplett zugequalmten Teil, aus dem untergehenden Flieger zu klettern und sich aus dem eiskalten Wasser fischen zu lassen. Russell war übrigens zu diesem Zeitpunkt bereits 76 Jahre alt und sollte danach noch weitere zweiundzwanzig Jahre leben!
Mein Geschichte ist entschieden gewöhnlicher: Eine junge Dame hatte mich wegen eines anderen verlassen und mir damit das Herz gebrochen … ach was, sie hatte mein Herz mit einer Kettensäge in ein tausendteiliges Jigsaw-Puzzle verwandelt. Das war mir in dieser Form noch nicht passiert und so hatte ich keine Ahnung, wie man sich in einer solchen Situation verhielt. Sollte ich mich besaufen? Wahllos herumhuren? Einem pittoresken Wahnsinn anheim fallen, mich nicht mehr waschen, ins Bett legen und einfach verwesen?
Und während ich noch hilflos versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, dabei eine Zigarette nach der anderen rauchend, bemerkte ich auf einmal, dass ich die Lösung schon gefunden hatte: Eben! Ich würde rauchen. Rauchen war genau das Richtige. Man ist beschäftigt, tut aber eigentlich nichts. Zumindest nichts, was man am nächsten Tag bereuen müsste. Und man kann dabei weiter leiden. Ab und zu muss man aufstehen und Nachschub holen. Und wenn man einmal ohne Grund hinaus in die Welt geht, läuft man nicht Gefahr, irgendwo desorientiert an einer Straßenecke stehen zu bleiben und Passanten zu einem Anruf beim psychiatrischen Notdienst zu animieren. Man lehnt sich einfach an eine Hauswand, zündet sich eine Zigarette an und fügt sich sich unauffällig ins Straßenbild ein. Und so wartete ich einfach ab, bis die Zeit und der Rauch meine Wunden geheilt hatten. Ich verstand, dass der Sinn des Tabakgebrauchs in seiner völligen Sinnlosigkeit bestand. Rauchen ist das ZEN unter den selbstzerstörerischen Gewohnheiten: keine Rausch, kein Genuss, keine Lust, nur Sein und verwehende Zeit …
Selbstverständlich sollte man trotzdem nicht rauchen, weil man davon auf Dauer Krebshusten und Adernverstopfung bekommt. Ich selbst habe vor zwei Monaten anlässlich einer Lungenentzündung die Qualmerei beendet. Zunächst befürchete ich, mir würde die angenehme Sinnlosigkeit der langjährigen Gewohnheit fehlen, aber dann stellte ich ganz dialektisch fest: Das Einzige, was das Rauchen an Sinnlosigkeit noch übertrifft, ist der Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören. Egal, wo man steht, geht oder sitzt – man denkt immer nur: Was soll das? Warum rauche ich jetzt nicht? Und schon hat man ein neues Mantra und muss sich nicht mit dem Rest des Lebens beschäftigen. Auch schön.
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