der rote faden: Ein ganzes Altarbild der Unsinnigkeiten
Durch die Woche mit Johanna Roth
Die optimale Projektionsfläche ist hell und glatt. Dachte man. Dann brannte Notre-Dame, raues Gestein und dunkles Holz, und neben geradezu caravaggiohaften Bildern singender und betender Menschen vor der verrauchten Kulisse der Île Saint-Louis entwickelte sich auch die politische Interpretation dieses Ereignisses mit solcher Merkwürdigkeit, dass wir über dieses Naturgesetz vielleicht noch mal reden sollten. Aus den Reaktionen auf die Katastrophe lässt sich jedenfalls ein ganzes Altarbild der Unsinnigkeiten entwerfen.
Da wäre zum Beispiel der Tagesschau-Moderator Constantin Schreiber. Während der Rest von Twitter wütete, weil die ARD weder Livestream noch Brennpunkt hinbekam (man mache ja schließlich kein „Gaffer TV“, erklärte ARD-Chefredakteur Rainald Becker dazu), zögerte Schreiber keine Minute, öffentlich-rechtlichen Informations- und Aufklärungsansprüchen gerecht zu werden. Noch am Montagabend, als die Temperaturen des Brands gerade ihren Höhepunkt erreicht haben dürften, suchte er nach arabischsprachigen Tweets zum Thema und schrieb dazu: „Arabische Reaktionen zu #notredame: ‚traurig‘ sagen die einen, ‚allahu akbar‘ die anderen“. Denn was läge gemäß journalistischer Sorgfaltspflicht näher, als direkt locker-flockig einen Zusammenhang zu konstruieren zwischen brennender Kirche und islamistischem Terrorismus, anstatt erst mal abzuwarten, was von offizieller Seite zur Brandursache gesagt wird – und ohne dass es zu jenem oder einem späteren Zeitpunkt überhaupt irgendeinen derartigen Hinweis gegeben hätte?
Mutmaßlich war’s, so hieß es dann am Donnerstag, ein Kurzschluss im Zusammenhang mit Bauarbeiten. Und Schreiber, der vor seiner Zeit bei der ARD Nachrichtensendungen auf Arabisch moderierte, musste sich von Muttersprachler*innen dann auch noch aufklären lassen, dass der Ausruf „Allahu akbar“ genauso gut Erschrecken und Bestürzung ausdrücken könne wie Triumph, womit der Tweet noch überflüssiger wurde als ohnehin schon.
Apropos Überfluss: Friedrich Merz, gescheiterter Kandidat für den CDU-Vorsitz und seitdem frei in Partei und Öffentlichkeit umhergeisternder Angsttraum diverser christdemokratischer Amtsträger (allen voran Peter Altmaier, für den diese Woche mit der unangenehmen Lektüre von allerlei Medienberichten begann, in denen über einen baldigen Putsch Merzens in Richtung Wirtschaftsministerium spekuliert wurde, nachdem dieser bei einem Europawahlkampfauftritt mit Annegret Kramp-Karrenbauer – mal wieder – für sich als wirtschaftspolitischen Heilsbringer seiner Partei geworben hatte), hatte eine umwerfende Idee: Um die deutsch-französische Freundschaft „in ganz besonderer Weise“ zu vertiefen, sollten wir („wir“?) eine Bürgerinitiative ins Leben rufen, die im ganzen Land Spenden sammle für den Wiederaufbau von Notre-Dame.
Diese Äußerung ist nicht nur außenpolitisch etwas clownesk, sondern vor allem für jemanden, der zuletzt bei einer Vermögensverwaltung gearbeitet hat. Übersieht Merz doch, dass die katholische Kirche auf vielen Milliarden Euro sitzt, ein zweistelliger Betrag wohl allein in Deutschland. Könnte man ja mal durchlüften, bevor es Schimmel ansetzt vom vielen Herumliegen, dieses viele Geld – aber nein: Der Vatikan schicke gerne Hilfe in Form von Restauratoren, erklärte der Präsident des Päpstlichen Kulturrats und konnte sich den Hinweis nicht verkneifen, dass Notre-Dame zum einen dem französischen Staat gehöre und zum anderen eine „Kathedrale für Gläubige und Nichtglaubende“ sei.
Mon Dieu, das wäre aber auch! So springen dann eben französische Industriellenfamilien ein und halten den Laizismus aufrecht, ist ja irgendwie auch ganz schön. Vielleicht könnte man nach erfolgreichem Wiederaufbau auch die Idee mit dem Weinlager aus Revolutionstagen noch mal neu beleben? Das würde den ganzen Verein in Rom sicher empfindlich ärgern.
Unangefochtener Gewinner dieses kleinen Rankings jedenfalls: B. Höcke aus Thüringen. Der enflammte im Angesicht des – jetzt aber wirklich! – untergehenden Abendlandes plötzlich doch noch in Begeisterung für Europa und twitterte kurzerhand ein elftes Gebot (bitte mit Charlton-Heston-Stimme gesprochen vorstellen): „Doch wir, die wir unser europäisches Erbe im Herzen tragen, bekennen: Auch wenn die Kathedrale tausendmal in Flammen aufgeht, wir bauen sie eintausendundeinmal wieder auf.“ Große Rätselei unter seinen Mituser*innen: Wozu braucht der ZWEI Kathedralen?
Keine Ahnung, aber: Dass Rechte des Öfteren nicht die hellsten Kerzen am Leuchter sind, ist bekannt. Und doch ist es immer wieder schön, wenn sie es bereitwillig zur Schau stellen. In diesem Sinne: Gott mit Ihnen. Und Frohe Ostern!
Nächste Woche Ariane Lemme
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