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der rote fadenDateiexistenzkrise und die Zeitlichkeit der Hyazinthen

Durch die Woche mit Johanna Roth

Januar

Ich bedaure sehr, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Sie genießen gerade keinen druckfrischen Qualitätsjournalismus zu Ihrem Morgenkaffee. Sondern Konservenfutter. Denn genau diese Kolumne habe ich schon mal geschrieben. Sagt zumindest mein Computer, und der muss es ja wissen. Als ich das Dokument anlegen wollte, hübsch ordentlich verschlagwortet unter „Roter Faden Januar“, gab er nur ein unwilliges Quäken von sich: „Die Datei existiert bereits. Wollen Sie sie ersetzen?“ Wasneinhähilfewassolldasdennjetztverdammt! Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich darauf kam, dass es sich bei dieser Datei um die Januarkolumne vom letzten Jahr handeln musste, und während dieser wenigen Augenblicke durchlebte ich eine handfeste Existenzkrise.

Wieso ist die Kolumne schon da, wenn ich sie noch gar nicht geschrieben habe? Oder habe ich sie schon geschrieben und es dann wieder vergessen? Falls dem so ist, schiebe ich es auf die Post-Urlaubs-Müdigkeit, oder sollte ich mich doch auf die Suche nach ernster zu nehmenden Ursachen machen? Und gibt es einen Zusammenhang damit, dass dieser Freitag schon maximal blöd anfing, indem ich mir zunächst den Ärmel des neuen Pullovers am Fensterrahmen aufriss, anschließend mein iPhone den x-ten todesmutigen Sprung aus meiner Hand dann doch nicht mehr überlebte, woraufhin sein Display in viele spitze Teile zersplitterte und ich schließlich 65 Euro bezahlte für einen neuen Reisepass, mit dem ich nirgendwo werde einreisen dürfen, es sei denn, ich finde einen hilfsbereiten Golden Retriever, den ich mir bei der Passkontrolle mal kurz vors Gesicht halten kann, um der Frisur und der Miene der Abgebildeten einigermaßen nahe zu kommen?

Godot

Es ergibt natürlich alles insofern Sinn, als am heutigen Samstag die Pariser Uraufführung von „En attendant Godot“ genau 65 Jahre her ist. So viele schöne Metaphern hatte der alte Beckett für unser Auf-der-Stelle-Treten-in-der-Überzeugung-sich-zu-bewegen. Was für ein gemeines kleines Biest die Zeit doch ist, zeigt sie ja nicht zuletzt jedes Neujahr wieder, denn wir mögen auf dem Mond landen (und die Chinesen seit ein paar Tagen auch auf seiner Rückseite), aber unsere Zeitlichkeit, die bleibt, und die Erde gondelt unbeirrt in 365 Tagen um die Sonne. Es ist also alles schon mal da gewesen, jedes Jahr beginnt mit einem Januar, und der hat einzig und allein den Vorteil, dass überall Hyazinthen verkauft werden, die mit ihren knautschig weichen Blüten und einem Duft, für den Coco Chanel gemordet hätte, wenigstens kurz eine Illusion von Frühling erzeugen. Leider haben auch sie ein ganz besonderes Verhältnis zur Zeitlichkeit, es beträgt, übertragen auf die jeweilige Dauer der Blütenpracht und des eher unspektakulären Wegs dorthin, etwa 1 zu 25.000. Aber der kurze Moment, der lohnt sich.

Trump

Manches war ja letztes Jahr schon genauso schlimm, da muss ich die alte Datei gar nicht erst anklicken: Er ist immer noch da. Immerhin hat Donald Trump jetzt eine neu vereidigte Widersacherin, deren eigene Tochter über sie sagt: „Sie wird dir den Kopf abschneiden und du wirst nicht einmal wissen, dass du blutest“, natürlich rein auf rhetorisch-strategisch-machtpolitische Szenarien bezogen. Nancy Pelosi wird Trump als Sprecherin des Repräsentantenhauses also die Hölle heiß machen, wohingegen schade ist, dass sie als Präsidentschaftskandidatin eher nicht infrage kommt. In dieser Woche kündigte als Erste die Senatorin Elizabeth Warren ihre Kandidatur an, mit einem in gedämpftem Pädagogensound eingesprochenen Twitter-Video, das sie – in etwas zu durchschaubarer Volksnähe – in einer (ihrer?) schlecht ausgeleuchteten Einbauküche zeigt. Kirschfurnier und Klaviergedudel: Ob man so „The Donald“ aus dem Weißen Haus kriegt? „The Donald“, so nannte ihn, man stelle es sich lieber nicht allzu lebhaft vor, schon in den 80ern seine damalige Frau Ivana – nachzulesen in der Autobiografie der ehemaligen Vanity-Fair-Chefin Tina Brown.

Sturm

Vielleicht würde aus Trump, der mit seinem Grenzmauerfetisch gerade mal wieder das komplette Land lahmlegt, doch noch ein netter, nachdenklicher älterer Herr, wenn man ihn einfach mal zum Jahreswechsel auf eine Ostfriesische Insel verfrachten würde. Ich hab’s getestet: Sanddorngrog knallt eindeutig besser als Diet Coke, am Neujahrstag hüpfen alle zum Anbaden in die Nordsee, angeführt vom Bürgermeister, und auch Menschen mit einem ähnlich reduzierten Wortschatz, wie ihn der amerikanische Präsident pflegt („great“, sad“), fallen hier nicht weiter auf („moin“). Die Tage bestehen aus Spaziergängen, Tee mit Sahne, Kutschpferde streicheln und Gesichtsbehandlungen mit salziger Gischt und feinweißem Sand, und mehr kann man im Leben nun wirklich nicht verlangen. Höchstens noch, dass ein Sturm wie der in den letzten Tagen dort ohne Umweltkatastrophe und Zugunglück auskomme. Aber das ist ein Fall für die nächste Zeitschleife. 2020, du hast deinen ersten Vorsatz!

Nächste Woche Ariane Lemme

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