der rote faden: Egal was auf eurem Kalender steht, CDU-Boys: Es ist 2018
Durch die Woche mit Klaus Raab
Haben Sie kürzlich die Schlagershow mit Florian Silbereisen in der ARD gesehen? Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat, nachdem hier und da Witze darüber gemacht wurden, wie reaktionär es dort zuging, darauf hingewiesen, dass es einen durchaus bemerkenswerten Moment gab: Der Sänger Christoff de Bolle fragte in der Sendung seinen Freund Ritchie, ob er ihn heiraten wolle. Vor fünfzehn oder achtzehn Jahren hätte die ARD Vergleichbares kaum in einer Schlagershow gezeigt. Das Publikum beim „Schlagerbooom“ mit Silbereisen aber kriegte sich gar nicht mehr ein vor Glück.
Das ist nur ein kleines Beispiel für das, was in den vergangenen Jahren im Land passiert ist. Manche Prozesse wird auch niemand zurückdrehen können. Wer jetzt hofft, dass nach der Ära Merkel der große kulturelle Backlash kommt, der kann ja einfach mal einen Kalender von 2004 aufhängen und dann spaßeshalber herumfragen, welches Datum wir tatsächlich haben. Achtung, Spoiler: Egal, was auf dem Kalender steht – es ist trotzdem 2018.
In dieser Woche wurde ein paarmal die Befürchtung geäußert, dass nach Angela Merkel, die die gesellschaftliche Modernisierung jedenfalls nicht ausgebremst hat, die alte Bundesrepublik zurückkommen könnte, so mit Saumagen in der Bankkantine, Normfamilie und dem „Wind of Change“-Song der Scorpions als Hintergrundmusik. Ganz so, als wäre seither nichts passiert: als hätte es keine Frau und keine Ostdeutsche als Kanzlerin gegeben und auch keine Modernisierung der CDU. Die allgegenwärtigen Merkel-Kritiker mögen das sogar hoffen, Nostalgie ist bekanntlich ihre Utopie. Und Jens Spahn stand für diese Sorge/Utopie genauso Pate wie Friedrich Merz mit e, der in dieser Woche nach Jahren wieder an die Oberfläche des politischen Betriebs gefluppt ist – wie so ein Holzstückchen, das man lange am Grund der Badewanne festgehalten hat.
Aber dass diese Sorge/Utopie formuliert wird, sagt weniger über Spahn oder Merz oder auch Annegret Kramp-Karrenbauer aus als über das politische Denken in Personal- und Machtfragen: Man kann auf die Vorstellung, dass nach Angela Merkel das Alte in alter Form zurückkommt, eigentlich nur kommen, wenn man Politik vornehmlich in Personen denkt. Von Leuten in der Politik hat man ein Bild – daraus wird dann assoziativ ein Programm geschnitzt, das es nicht geben wird. Aber: Nö. Das Alte kommt nicht wieder. Vielleicht, das kann man nicht ausschließen, wird, was kommt, nicht zum Jubeln werden, aber es wird auf jeden Fall auf neue Art scheiße. Das ist doch was!
Was so gut wie alle Personengeschichten aus der Politik eint, ist, dass sie in erster Linie: Geschichten sind. Die große mediale Menschen-in-der-Politik-Erzählung funktioniert erst mal emotional. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat im Deutschlandfunk in diesem Zusammenhang von einer „Entleerung politischer Berichterstattung“ gesprochen. Da ist auch ziemlich viel dran. Allerdings verpufft solche Medienkritik, die mindestens so alt ist wie Fernsehtalkshows, verlässlich ganz schnell wieder. Im Journalismus dominiert schließlich der Realoflügel. Und der fragt nicht: Wie sollte man in der idealen Welt über Politik berichten? Sondern er fragt: Wie sollte man über Politik berichten, wenn man möchte, dass man selbst dabei wahrgenommen wird?
Im Journalismus war einst der Begriff „Küchenzuruf“ gebräuchlich: Das sind Sätze, die Leserinnen und Leser einander während der Medienlektüre von einem Zimmer ins andere zurufen, etwa in die Küche hinein. So ein Inhalt muss natürlich entsprechend aufregend sein, sonst ruft ja niemand. Wenn Menschen vorkommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ruft, deutlich – reiner Erfahrungswert.
Bei der SPD weiß man auch, dass in anderen europäischen Ländern Personen mit Netzwerken gewählt werden und Sozialdemokraten, die in erster Linie eine Partei sind, weniger. Peer Steinbrück – der Mann, der im Bundestagswahlkampf zu seinem großen Nachteil spaßeshalber einen Mittelfinger zeigte und über Wein sprach, der nicht aus dem Tetra Pak kommt, der also genau weiß, dass die Fixierung auf Personengeschichten ihre Fallstricke hat – dieser Steinbrück also hat diese Woche seiner Partei empfohlen, mal jemanden wie Bernie Sanders auszugraben, nur 30 Jahre jünger. Pragmatisch gesehen, eine gute Idee.
Womöglich stimmt zwar, was Spiegel-Online-Kolumnist Sascha Lobo ebenfalls diese Woche geschrieben hat: „Die SPD-Zentrale Willy-Brandt-Haus ist mutmaßlich die deutschlandweit effektivste Organisation zur Vernichtung öffentlicher Sympathie.“ Sicher ist aber auch, dass der Unique Selling Point, auf den die SPD gerade am stärksten setzt – ihre Sachpolitik –, als Küchenzuruf wirklich nicht funktioniert: „Bernd, halt dich fest: Die SPD hat ordentliche Detailerfolge in der Sachpolitik vorzuweisen!“ – Ähm … nein.
Nächste Woche Robert Misik
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