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der rote fadenFahren eigentlich auch Reichsbürger in Urlaub?

Durch die Woche mit Nina Apin

So heiß ist es, dass sogar das preußische Berlin tropisches Flair verströmt: in den Straßen viele Urlauber und wenige Einheimische, die sich träge auf schmatzenden Flipflops oder schwankend auf Leihfahrrädern durch die Straßen schieben. In den skandalös schlecht klimatisierten Räumen der taz gerötete Gesichter, glasige Blicke, die sich auf nutzlos rotierende Kleinventilatoren richten. Unter den Konferenztischen sieht man nackte Füße und Beine mit Sonnenbrand. Die Diskussionen sind fahrig und von einer gewissen Gereiztheit: Erst Boateng, jetzt Özil – ist das struktureller Rassismus? Wie milde sollten wir als Linke mit einem Fußballer sein, der Respekt vor der Heimat seiner Vorfahren mit Respekt vor Erdoğan gleichzusetzen scheint? Und wieso äußert sich dieser Grindel nicht? Rücktritt?!

Özil

Die Hitze hat manchmal ihr Gutes: Während am Montag ein Meinungsüberschwang herrscht, der sich in einer gewissen, äh, Überpräsenz in der Zeitung spiegelt (seitenweise der „Fall Özil“), ist am Dienstag schon wieder Flaute. Während das Thermometer unbarmherzig klettert, hängen wir mangels Körperspannung über den Konferenz­tischen und raunen uns ab und zu magische Worte zu: Badesee …, Himbeereis …, noch drei Tage bis zum Urlaub!

Draußen plötzlich ohrenbetäubendes Dröhnen, quietschende Bremsen, so laut, als hätten sich Dutzende Irre zu einer Autorallye auf der Rudi-Dutschke-Straße verabredet. Haben sie auch: Etwa 20 Boliden der sogenannten Nexus-Ball-­Rallye, die von Stockholm über Kopenhagen und Berlin bis Danzig und per Fähre zurück in die südschwedische Stadt Visby führt, sind über Berlin hergefallen, einer überfährt eine dunkelrote Ampel, dass es nur so kracht. Wenig später die Genugtuung, dass die Berliner Polizei den Streckenrekord der Raser empfindlich drückt – über eine Stunde überprüfen die Beamten die teilnehmenden Fahrzeuge, bevor sie die PS-Gesellschaft bis zur Stadtgrenze eskortieren. Erstaunlicher Polizeibefund: „Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung wurden nicht festgestellt“, so ein Sprecher. „Ja, wo sind wir denn hier?“, ruft ein Kollege entgeistert.

Nexus-Ball-Rallye

Ja, wo bin ich eigentlich? Der Tropicana-Effekt bringt erstaunliche Fremdheitsgefühle mit sich. Als ich an einer Ampel unversehens von einer chinesischen Reisegruppe mit Sonnenschirmen umringt werde, als statt meiner Nachbarn fremde Saisonbewohner durchs Treppenhaus laufen und als mein kleiner Kiezdiscounter bevölkert ist von Menschen, die in fremden Zungen sprechen und ungewohnte Dinge kaufen (Kohlrouladen aus der Dose!) – da kommt mir auf einmal dieser skurrile Slogan ins Hirn: Der Große Austausch, es gibt ihn doch! Wenn auch anders, als seine Erfinder ihn sich vorstellen.

Wenn Sie nicht wissen, was das sein soll, der Große Austausch, ehrt Sie das gewissermaßen, denn dabei handelt es sich um eine Verschwörungstheorie der extremen Rechten. Erdacht hat sie der Franzose Renaud Camus 2013, in Deutschland wird sie von der Identitären Bewegung und von Teilen der AfD vertreten. Demnach soll die Bevölkerung von Deutschland und von Teilen Nordeuropas durch Migranten ausgetauscht werden.

Großer Austausch

Der Austausch erfolgt aus Profitgier. Weil „andere Völker“ angeblich dümmer, folgsamer und arbeitswilliger als die Deutschen seien, sollen sie „den Eliten“ ihren Profit sichern. Etwas Blöderes habe ich selten gehört – und doch fällt mir das Schlagwort auf der Treppe ein, freilich gedacht als touristisches und temporäres Phänomen. Ist nicht seit dem Zeitalter des Massentourismus jeder Sommer so eine Art Großer Austausch, gelenkt von einer boomenden Reise-und Standortmarketingindustrie? Alle verlassen ihre angestammten Gebiete und überlassen sie Menschen, die ihrerseits aus ihren Gebieten aufgebrochen sind. Ohne Not, ohne Schaden – außer für die Umwelt. Und für das erbärmlich unterbezahlte Personal von Billigfliegern, die zu Recht gerade streiken.

Bayreuth

Ob wohl die sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter in Urlaub fahren, überlege ich – also die Personen, die die Bundesrepublik Deutschland als Staat ablehnen und die Innenminister Seehofer bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2017 am Dienstag als Gefahr bezeichnete? Oder gleicht der innere Zustand des Reichsbürgers, der sich selbst als exterritoriale Entität begreift, eh einem permanenten Urlaub? Als ich die Fotos von der Eröffnung der Bayreuther Festspiele sehe, Angela Merkel in reptilienhaft changierendem grünem Zweiteiler, da denke ich: Wie viele kranke Hirne sitzen da draußen wohl jetzt gerade vor dem Rechner und fühlen sich bestätigt in ihrer Reptiloidentheorie, wonach wir in Wahrheit alle von Reptilien …

Oje. Ich sollte dringend in den Jürgen-Klopp-Modus schalten. Der Fußballtrainer nutzt keine sozialen Medien, erklärte er diese Woche. Toll. Fast so gut wie Urlaub!

Nächste Woche Georg Löwisch

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