der rote faden: Hand aufs Herz: Wie erkennt man einen Rechtsruck?
Durch die Woche mit Robert Misik
Die Wirklichkeit liefert uns Eindrücke und manchmal sogar harte Fakten, die den Eindruck erwecken, sie böten ein klares, eindeutiges Bild, das nach keiner Interpretation mehr verlangt. Unlängst sprang mir im Internet eine dieser schönen Tortengrafiken ins Auge. Sie zeigten die Repräsentanz von Frauen im Fernsehen. In den Alterskohorten zwischen zehn und vierzig Jahren ist die Repräsentanz von Frauen beziehungsweise Mädchen ziemlich gleich gegenüber der der Männer und Jungs, aber bei den Ü-40 sind dann plötzlich 66 Prozent der Personen männlich, bei den Ü-50 sind es 76 Prozent Männer und bei den Ü-60 dann schon 80 Prozent Männer. Botschaft: Wenn Frauen alt werden, will sie keiner mehr sehen, bei Männern ist das anders. Und das ist ja sicherlich richtig.
Aber dann begann ich nachzudenken. Was heißt eigentlich „im TV“? Nachrichtensprecherinnen, Moderatoren, Filmschauspielerinnen, Akteure von Beauty-Shows, Polit-Talkshows? Das ist ja eine ziemliche Bandbreite. Und sagt die Statistik zweifelsfrei, dass es heute einen eklatanten Alterssexismus (oder gar Altersrassismus) gibt, dessen Opfer vor allem Frauen sind?
Die Statistik könnte ja zumindest theoretisch auch etwas anderes zeigen: etwa, dass es vor dreißig Jahren kaum Journalistinnen, Chefredakteurinnen und Politikerinnen gab, weshalb gerade unter den Ü-50 und Ü-60 die Männer in den Talkshows auch heute überrepräsentiert sind. Dann zeigt die Statistik aber eher die Langzeitwirkungen des Sexismus von vor dreißig Jahren und sie zeigt zugleich, dass es bei den jüngeren Kohorten schon viel besser ist.
Ich will gar nicht behaupten, dass das so ist. Ich will nur darauf hinweisen, dass Statistiken und Daten nicht immer das zeigen, was man auf den ersten Blick zu erkennen glaubt.
Vielleicht habe ich mich mit der eher nebensächlichen Statistik auch nur deshalb beschäftigt, um mich von den politischen Erschütterungen in meinem Land etwas abzulenken. Wir haben in Österreich ja vor drei Wochen gewählt, und das brachte einen ziemlichen Erdrutsch. Die scharf nach rechts gewendete konservative Volkspartei holte unter ihrem neuen Wunderknaben Sebastian Kurz 31 Prozent und damit den ersten Platz, die Sozialdemokraten stagnierten bei 27 Prozent, die rechtsradikale FPÖ stieg auch noch auf 25 Prozent an und die Grünen flogen gleich aus dem Parlament.
Jetzt verhandeln in Österreich also Rechte und ganz Rechte über eine Rechts-rechts-Koalition unter einem Kanzler Sebastian Kurz. Orbanisierung steht im Raum. Keine rosige Zukunftsaussicht.
Das Land erlebte also einen Rechtsrutsch. Das Wahlergebnis und die verschiedenen anderen Daten, die die Demoskopen so erheben, lassen also einen schnörkellosen Schluss zu: Es gibt eine rechte Diskurs- und Themenhegemonie im Land. Österreich ist einfach gesellschaftlich nach rechts gerutscht. Und das Wahlergebnis ist folglich der Ausdruck dieser atmosphärischen Stimmungslage.
Aber schon dieser Befund ist fragwürdig. Ist das denn wirklich der Fall, und wenn ja, in welchem Ausmaß? Einerseits dominierte die rechte Themensetzung in der Migrationsfrage den Wahlkampf, andererseits positionierte sich Kurz geschickt und im Grunde recht unpolitisch als die Personifizierung von Veränderung. Jung, frisch, anders, einer, der das hergebrachte System aufbricht. Er hat, in einer Phase, in der die Menschen eine diffuse Unzufriedenheit hegen und es eine Wechselstimmung gab, einfach das Bedürfnis danach angesprochen, dass irgendetwas anders wird. Aber das ist dann gesellschaftlich nicht unbedingt ein Rechtsruck.
Es ist also nicht klar: Haben wir bald eine Regierung, die einem rechten Klima einfach entspricht? Oder haben wir eine Regierung, die deutlich rechter sein wird als die Stimmung im Land? Eine Regierung, die weit rechts von der Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen steht? Ich neige letzterer Interpretation zu.
Wie auch immer: Die gesellschaftliche Linke ist jetzt in einer Opposition gegen eine harte, stramme Rechtsregierung und das kann ja auch die Lebensgeister entfachen. Ganz persönlich habe ich ohnehin ein oppositionelles Gen. Seit ich 15 bin – also seit gefühlten tausend Jahren –, bin ich Anti zu den herrschenden Verhältnissen. Die Mitte-links-Opposition, von den Parteien im Parlament, von der außerparlamentarischen Opposition bis zur Zivilgesellschaft und der kritischen Publizistik, wird diese Rechtsregierung konfrontieren müssen, allen Versuchen, Österreich zur „illiberalen Demokratie“ zu machen, Widerstand entgegensetzen.
„Versinke im Schmutz, umarme den Schlächter, aber ändere die Welt, sie braucht es“, heißt es bei Brecht. Eine schöne Richtschnur für die nächsten Jahre.
Nächste WocheNina Apin
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