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der rote faden Spione spielen nicht mit Puppen

durch die woche mitDaniel Schulz

Puppen kann man nicht trauen. Nicht diesen kleinen Plastikäuglein, die echt genug aussehen, dass alles Mögliche hinter ihnen vorgehen könnte. Jeder, der sich als Kind heimlich Chucky, die Mörderpuppe, und später die fünf Nachfolgefilme reingefahren hat, die Geschichte eines Massenmörders, der seinen Geist per Voodoo in ein Spielzeug transferiert … okay, ja, klar, der Plot klingt bescheuert, aber spätestens nachdem die Babysitterin des kleinen Andy mit einem Spielzeug-Zimmermannshammer gekillt wird, denkt doch keiner mehr an den Plot …, jedenfalls weiß jeder vernünftige Mensch: Puppen sind die AfD des Spielzeugladens. Bei Fragen, die ihnen nicht passen, verlassen sie das Geschäft … vergessen Sie das, die Metapher funktioniert nicht, außerdem hat Horst Seehofer diese Woche gesagt, wir (also die Medien) sollen uns alle nicht (vor allem nicht in den Medien) so sehr an der AfD abarbeiten, sondern uns auf unsere eigenen Dummquatschereien konzentrieren. Oder so.

Cayla

Also Konzentration. Der Puppe diabolisches Wesen hat nun sogar die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen erkannt. Sie warnt seit Donnerstag vor Cayla. Cayla ist Chuckys kleine blonde Schwester. Sie hat blaue Augen und kann sagen, dass ihre Lieblingsfarbe Pink ist. „Meine Freundin Cayla weiß Millionen Dinge“, sagt ein kleines Mädchen im Werbespot, ein kleiner ästhetischer Missbrauch im Zeugen-Jehovas-Style.

Die Herstellerfirma Genesis hat Cayla eine Kamera und ein Mikrofon eingebaut, sie kann Daten per Internet senden. Die „Gespräche der Jüngsten mit der Puppe konnten unbemerkt zum Hersteller übertragen werden“, schreiben die Verbraucherschützer. Die Bundesnetzagentur hat Cayla verboten, sie muss zerstört werden, auf der Website der Bundesbehörde kann man sich, wir sind hier schließlich in Deutschland, sogar einen Zerstörungsnachweis herunterladen. Der Grund für das Verbot steht im Telekommunikationsgesetz: Getarnte Überwachungsgeräte sind nicht erlaubt. Das ist alles recht stümperhaft gedeichselt worden von dem britischen Unternehmen, das Cay­la verkauft.

Kamera

Wenn Deutsche überwachen wollen, verstecken sie die Kamera nicht in einem Spielzeug. Sondern in einem Gesetz. Sagen wir mal in einem Gesetz über Fahrverbote. Anlässlich der Wahl in ein paar Tagen sei noch einmal dieses Meisterstück aus diesem letzten Sommer der Großen Koalition erinnert. Sie wollte ein Gesetz, das eine so weit reichende Überwachung von Menschen in Deutschland erlaubt, wie sie bisher nicht möglich war.

Die Ermittlungsbehörden sollen heimlich Spionagesoftware auf privaten Computern, Laptops, Handys und Tablets installieren können und mitlesen, was sich die Überwachten per Mail oder WhatsApp schreiben. Außerdem sollen sie sich die ganze Festplatte eines Geräts ansehen können. Bei über dreißig Straftaten – neben Mord und Totschlag auch die Anstiftung zur missbräuchlichen Stellung eines Asylantrags – sollen Polizei und Staatsanwaltschaften in die Intimsphäre eindringen dürfen und Schwachstellen elektronischer Geräte ausnutzen. Und das obwohl das Bundesverfassungsgericht 2008 ein Grundrecht auf die Unversehrtheit und Vertraulichkeit von informationstechnischen Systemen geschaffen hat.

Vertraulichkeit

Deshalb machte die Koalition einen auf Cayla. Sie versteckte das schärfste Überwachungsgesetz der bundesdeutschen Geschichte in einem anderen Gesetz.

#FreeDeniz

Der Schwarz-Rot dominierte Rechtsausschuss des Bundestags hängte das Cayla-Gesetz einfach an ein laufendes Gesetzesverfahren an. Das drehte sich neben anderem um den Entzug des Führerscheins bei Straftaten, die nichts mit dem Straßenverkehr zu tun haben. Die Bundesregierung gab praktischerweise eine Formulierungshilfe zum „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze“ und schrieb da unter anderem rein: „Die Angabe zu § 100b wird wie folgt gefasst: ‚§ 100b Online-Durchsuchung‘.“ Zack, fertig war die Laube. Kein neues Gesetzgebungsverfahren, kaum Gewese im Parlament. Ein herzhaftes Fuck you! gen Verfassungsgericht, über das sich Politiker gern aufgeregt haben, als es die AfD noch nicht gab (sorry, Horst!), weil es ihnen zu viel Politik machte. Vernichtungsnachweise für Grundrechte gibt es bei der Bundesnetzagentur übrigens nicht runterzuladen.

Merke also: Wer einen ordentlichen Gruselfilm drehen will, spielt nicht mit Puppen. Der macht Politik. Wer sich einfach nur gruseln will, bleibt zu Hause und glotzt. (War Ihnen das zu holzhammermäßig? Von wegen Aufforderung zur Wahl und so? Laute Moraltrompete? Zu laut? Egal. #FreeDeniz.)

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