der rote faden : Wider den Das-geht-nicht-Ismus
durch die woche mit
Robert Misik
Jetzt können wir natürlich darüber diskutieren, ob eine knappe Niederlage bei einer Parlamentswahl schon ein Triumph ist, aber ganz gewiss sind die knapp 41 Prozent, die Jeremy Corbyns Labour Party erreicht hat, ein Sieg – gemessen an den Ausgangsbedingungen, gemessen an den Erwartungen. Gemessen an allem, was man sich an Bullshit von den sogenannten Politikexperten vorher anhören musste.
Was mich an dieser Wahlsensation am meisten freut, ist die krachende Niederlage des Das-geht-nicht-Ismus, dieses letzten großen Ismus, der Blödheit unserer Zeit. Dass ein kauziger, bärtiger linker Opa, der nicht mal über den humoristischen Zauber und den Charme von Bernie Sanders verfügt, irgendetwas anderes als ein Debakel einfährt – das geht nicht, wurde uns gebetsmühlenartig gesagt. Übrigens wurde uns vorher ebenso abgeklärt von den „Realisten“ erklärt, dass man mit Bernie Sanders niemals gewinnen könnte, gewinnen könnte man nur mit Leuten wie Hillary Clinton. Tja, jetzt sagen alle, Bernie would have won. Übrigens: Auch Emmanuel Macron war vor etwas mehr als einem Jahr noch ein fixer Geht-nicht-Kandidat: aus der Regierung ausgestiegen, ohne Apparat, gegen die gesamte französische Politikmaschinerie – war ein klassisches Geht-nicht.
Und ich erinnere mich noch, wie ich im Jahr 2004 nachts mit pochendem Zahnweh wach lag und wegen der Schlaflosigkeit die Convention der US-Demokraten sah. Da sprach ein unbekannter junger Schwarzer, der gerade in Illinois für sein erstes Amt auf Bundesebene kandidierte. Und als ich den hörte, dachte ich mir: Puh, historischer Moment, den Jungen wird man sich merken müssen. Nun ja, noch drei Jahre später hörte man dann: Dass ein für US-Verhältnisse sehr linker Schwarzer, der auch noch die Clinton-Maschine gegen sich hat, Präsident werden kann, ist völlig undenkbar. Super sei er ja schon, aber leider, leider unter realpolitischen Gesichtspunkten völlig unelectable, unwählbar. Hinterher hat er zweimal in Folge mit Sensationsmehrheiten die Präsidentschaft gewonnen. Und wie viele Leute haben vergangenes Jahr bei uns in Ösistan gesagt, dass es völlig undenkbar sei, dass wir die Wahl mit dem grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen gegen den rechtsradikalen Norbert Hofer noch drehen – und ja, am Ende ging es 54 zu 46 aus.
Dieser Unsinn – dass Dinge niemals gehen könnten, von denen sich dann herausstellt, wie spielend leicht sie gehen – wird meist von Leuten verzapft, die man skurrilerweise gerne Realos nennt. Eigentlich sollte man sie doch eher Irrealos nennen.
Wir in Österreich haben wie ihr in diesem Jahr Wahlen. Und schon wieder höre ich aus der Blase sogenannter Experten, dass es leider rechnerisch völlig undenkbar sei, dass eine Mitte-links-Mehrheit aus Sozialdemokraten, Grünen und den kleinen liberalen Neos diese Wahlen gewinnen könnte. Fünf Monate vor der Wahl! In dieser Zeit holt dir Jeremy Corbyn einen 120-Prozent-Rückstand auf! Und das Mitte-links-Lager liegt in Österreich Umfragen zufolge gerade einmal fünf, sechs, sieben Prozent, höchsten zehn Prozent hinten (je nach Umfrage).
Das Ärgerliche am Das-geht-nicht-Ismus ist ja nicht nur, dass er eine lähmende, ewig dauerdepressive Gemütsverfassung ist, sondern dass er die Prozesse, die er scheinbar nur kommentiert, genauso beeinflusst. Er verbreitet Depression und verhindert damit den zupackenden Optimismus, der nötig wäre, um gewinnen zu können. Der depressive Das-geht-nicht-Ismus glaubt nicht an sich, und daher vertraut er eher auf kleinliche politische Winkelzüge als auf den Schwung, also auch nur auf die Winkelzugexperten und niemals auf die Begeisterung der Menschen.
Jetzt fragen sich alle, wie der das geschafft hat, der Corbyn. Dabei ist es ganz einfach. Ein kauziger Altlinker zu sein hat ihm mehr genützt als geschadet. Sogar bei Nichlinken. Selbst jene Leute, die seine Haltung nicht teilten, wussten: Der Typ ist echt. Das hat heute mindestens so viel Gewicht wie die „Links-rechts-Achse“. Er hat Mut, dazu zu stehen, was er sich denkt. Das verbindet auch den Sieg Macrons und den Erfolg Corbyns, so unterschiedlich beide politisch sind. Aber auch Macrons Mut, der aus dem etablierten Politsystem ausstieg, wagemutig seine eigene Bewegung gründete, nicht auf irgendwelche „Realo“-Berater hörte, hat am Ende Eindruck gemacht und die Grundlage für seinen Erfolg gelegt: Da ist einer, der wenigstens für etwas steht. Einer, der daher wohl irgendetwas ändern wird.
Nach zehn Jahren des Dauerdebakels für den Das-geht-nicht-Ismus sollte man das langsam gelernt haben.
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