der rote faden : Mein Herd, der Goldfisch und sein Uranaufschäumer
durch die woche mit
Johanna Roth
Am Montagabend unterschrieb ich den Mietvertrag für meine erste eigene Wohnung. Als ich dem Vermieter zum Abschied die Hand schüttelte, fühlte ich mich so erwachsen wie noch nie im Leben. Einige Stunden später radelte eine Gestalt in Trenchcoat und Schlafanzug hastig durch das nächtliche Berlin, um nachzusehen, ob der Herd in der neuen Küche auch wirklich aus war. Er war. Ich ging.
Sobald ich unten war, erwischte ich mich bei dem Gedanken, noch mal kurz hoch zu gehen, um ganz sicher zu sein. Aber wie hätte ich das den neuen Nachbarn erklären sollen? Die Lektüre der Hausordnung habe ich bei „Das sichtbare Aufhängen von Wäsche ist unzulässig“ abgebrochen, bin mir aber ziemlich sicher, dass darin auch eine Obergrenze für das nächtliche Ausleben von plötzlich auftretendem Kontrollwahn festgehalten ist.
Es war lächerlich: Ich wusste, dass der Herd aus war. Ich hatte es ja gesehen. Aber mir diesen letzten Blick darauf zur Beruhigung ins Gedächtnis zu rufen, daran scheiterte ich. Als habe mein inneres Auge den als erstes wieder gelöscht, um Platz für Neues zu schaffen (Oh, der Späti gleich um die Ecke hat Peanut Butter Cups!). Ungefähr so stelle ich mir den intellektuellen Stoffwechsel eines Goldfischs vor. Da ich beim letzten Blick in den Spiegel für einen Fisch ziemlich viele Haare hatte, muss eine andere Erklärung her. Wenn die Panik nicht rational begründbar ist – ist sie dann konstruiert, gar irgendwie gewollt?
Einen Tag, bevor Donald Trump vereidigt wurde, twitterte ein kluger Freund: „Wäre die Welt ein Computerspiel, würde ich jetzt zwischenspeichern.“ Er bekam dafür fast zehntausend Likes, auch eins von mir.
Dieses Bild entsprach offenbar demselben Grundbedürfnis wie beim Herd, das noch dazu weit verbreitet scheint: den Ist-Zustand, den man eingeordnet und verinnerlicht hat, irgendwie hinüberzuretten ins Kommende. Sei es nun in der Vergewisserung, dass die Wohnung nicht abbrennen wird, oder mit jener, dass die Welt auch einen Goldfisch mit Perücke im Weißen Haus übersteht.
Gleichzeitig wohnt der Erkenntnis, dass diese Vergewisserung nie ohne ihren Gegenpart – die Unsicherheit – existiert, ein Zauber inne, von dem man nicht genug bekommt. Vier Monate nach diesem Tweet verfolgen wir alle gebannt, wie Trump sich als genau das Fremdscham-Inferno entpuppt, auf das wir alle mit gar nicht mal so heimlicher Faszination gewartet haben. Statt abstruser Pornotitel denken wir uns auf Parties jetzt Textbausteine aus, die in 50 Jahren über Trump in den Geschichtsbüchern stehen könnten. War die beste Strategie, jemanden ins Bett zu kriegen, 2015 noch gemeinsames „Netflix & Chill“, ist es 2017 „Washington Post lesen und ausrasten“, wie eine amerikanische Kollegin treffend konstatiert.
Die Grundtonart dieses Diskurses ist ein beethovenhaftes Crescendo in C-Moll: WIR WERDEN ALLE STERBEN!
Im dazugehörigen imaginären Videoclip steht der Präsident der Vereinigten Staaten vor dem Panzerschrank mit den Atomcodes, die Golfhosen vor lauter Vorfreude nur noch halb in den Kniekehlen hängend, bereit, uns alle vom Antlitz dieser Erde zu tilgen – und all das nur, weil irgend so eine Ameise vom FBI doch tatsächlich die Unverfrorenheit besaß, „Nein“ zu ihm zu sagen.
Ich habe leichte Zweifel, dass Atomkrieg so einfach gehen soll wie Kaffee kochen: Knopf drücken, ein paar Kerne spalten, einen Zylinder Uran aufschäumen und fertig ist die Latte al presidente mit 100 Millionen Grad Celsius? Irgendeiner wird doch noch da sein, der sich im entscheidenden Moment nicht im Gebüsch versteckt wie kürzlich Trumps Sprecher Sean Spicer auf der Flucht vor unliebsamen Fragen, sondern sich American-Hero-like dazwischenwirft. Und doch kriegt man dieses Szenario plötzlich nicht mehr aus dem Kopf. Ist das noch psychosomatisch oder schon pathologisch?
Ungünstig ist es ja, andererseits, wenn man den Herd angelassen hat, weil man dachte, die Mitbewohner würden ihn schon ausschalten, wenn sie fertig mit Kochen sind. Die völlig verrußte Bude dann einfach zu streichen, in der Hoffnung, dass niemand etwas sieht oder riecht, ist nicht die beste aller Optionen – fragen Sie mal das LKA Berlin. Der Fall Amri hat in dieser Woche mit vielleicht gerade so entschuldbaren Versäumnissen, vielmehr aber noch mit unfassbar dreisten Vertuschungen ein Finale erreicht, wie man es sich nach dem NSU kaum trauriger hätte vorstellen können.
Meine neue Wohnung besuchte ich in den letzten Tagen dann noch öfter. Bevor ich gehe, mache ich jetzt immer ein Foto. Sicher ist sicher.
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