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der rote faden Die Assoziationsketten der Marine Le Pen und der Lauf der Dinge

durch die woche mit

Frédéric Valin

Desintegration

Das ging fix. Kaum liefen die ersten Meldungen von den Schüssen auf den Champs-Élysées über die ­Ticker, hatte Hollande sich bereits festgelegt: Es handelt sich um einen terroristischen Akt. Wir haben es hier mit einem Angriff auf ganz Frankreich zu tun. Wieder einmal.

Die Präsidentschaftskandidaten waren schnell bemüht, ihm beizupflichten. Macron sprach von der „Bedrohung, die alltäglich sein wird in den nächsten Jahren“, Hamon von der „totalen Unterstützung für die Ordnungskräfte gegen den Terrorismus“, Mélenchon davon, dass „terroristische Akte niemals unbestraft bleiben werden“.

Wer mit der ersten Wortmeldung nicht direkt von Terror sprach, war – neben Fillon – Marine Le Pen. Sie begnügte sich wie Fillon damit, ihre Solidarität mit der Polizei auszudrücken. Das klingt zunächst überraschend. Hierzulande lassen die Rechtsextremen schließlich keine noch so unklare Faktenlage aus, um eine Desintegrationsdebatte anzustoßen. Nach dem Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus twitterte die AfD: „Vom Fußball zum Weihnachtsmarkt: Kein Bereich unseres Lebens ist mehr sicher. Danke Merkel!“ (Kommafehler im Original).

Unkenrufe

Marine Le Pen hat solche Unkenrufe gar nicht mehr nötig. Sie kann sich getrost darauf verlassen, dass die anderen ihr den Gefallen tun, mit dem Finger in die Richtung zu weisen, in die sie schon seit Jahren marschiert. Statt sich direkt zum Attentat auf den Champs-Élysées zu äußern, zitierte sie passende Stellen aus einem vorher aufgezeichneten Fernsehinterview; und so wirkte es, als habe sie das Problem bereits vorher erkannt.

Und die Schlagworte reichen ja auch. Die Begriffskette Terror-Islam-Integration-Abschottung hat sich in vielen Köpfen derart fest verankert, dass sie keiner Erklärung mehr bedarf: Man muss nur einen der Begriffe anstupsen, schon läuft der ganze Film. Eine große, tragfähige Gegenerzählung gibt es nicht. Es herrscht eine gewisse Ratlosigkeit im politischen Frankreich, die so gar nicht zum häufig bemühten Schlagwort „Schicksalswahl“ passen will. Fillon wünscht sich das Frankreich zurück, als es noch kein Farbfernsehen gab; Macron scheint die Situation bestmöglich verwalten zu wollen; Mélenchon hätte, würde er gewählt, einen Großteil des politischen Establishments gegen sich.

Ratlosigkeit

Der Lauf der Dinge spielt dem Front aktuell in die Karten, und solange er nicht in der Regierungsverantwortung ist und keine Lösungen vorzuschlagen braucht, ist seine Si­tuation komfortabel. Er ist gut gewappnet für die kommenden Wahlen, und das aus zwei Gründen. Ein alter Satz sagt: „Quand la France va mal, le FN va bien.“ Wenn es Frankreich schlecht geht, geht es dem FN gut. Und hört man die Franzosen reden, geht es Frankreich derart schlecht, dass, selbst wenn es ihm besser ginge, immer noch alle Hoffnung umsonst wäre.

Gegenstrategien

Und zweitens: Der Front Na­tio­nal ist wohl die einzige Partei, der eine verlorene Wahl nicht schadet, sondern im Gegenteil zugutekommt. Er hat sich als verblüffend krisenresistent erwiesen, selbst innere Konflikte haben ihn nicht zerreißen können. Als sich im Jahr 2000 Mégret vom Front spaltete, kostete das den FN die Hälfte seiner Regionalparlamentsmandate und sehr viel Geld; das Ende schien nahe. Letztlich brauchte er kaum anderthalb Jahre, um sich von diesem Schlag zu erholen. Als Marine Le Pen 2015 ihren Vater absägte und dieser auf allen verfügbaren Kanälen zurückkeifte, sah man bereits die neuerliche Möglichkeit einer Spaltung; aber von wegen. All diese Streitigkeiten haben die Wähler unbeeindruckt gelassen. Das unterscheidet den FN von den übrigen französischen Parteien, die sich von Skandalen nicht so schnell erholen.

Eine Niederlage Le Pens wäre ein Aufschub. Sie kann sich darauf verlassen, dass ihre Konkurrenten die Begriffsketten triggern, die der Front seit Jahren benutzt. Rassismus erlaubt Zuspitzungen, die sich gut verkaufen lassen auf dem Markt der Ideen. Und was Rassismus anbelangt, hat Le Pen einen Glaubwürdigkeitsvorsprung vor ihren Mitbewerbern.

Eine Niederlage Le Pens böte aber auch die Möglichkeit, Gegenstrategien zu diesen Zuspitzungen zu entwickeln. Eine davon könnte sein: eine Sechste Republik, die den Regionen mehr Verantwortung zugesteht, die sich von Zentralismus und Parisfixierung verabschiedet. 2012 hat Mélenchon versucht, diesen Ansatz zu verfolgen, als er die Mittelmeerregion für ihre Vielfalt und Eigenart lobte. Damals erklang nach seiner Rede neben der Marseillaise die Internationale; das hat er vorerst aufgegeben zugunsten eines nationa­leren Grundtons. Dabei läge hier die Chance, dem FN das Wasser abzugraben.

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