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der rote faden Emmanuel Macron, Barack Obama, Martin Schulz

durch die woche mit

Robert Misik

Mit 100 Prozent haben die SPD-Leute Martin Schulz voriges Wochenende zu ihrem Parteichef gewählt. Was die Partei da gerade hinlegt, hat die Anmutung von Autosuggestion. Man strahlt Erfolgshunger aus, begeistert sich an sich selbst, hat damit die entsprechende Ausstrahlung und ist dann in einer dritten Schleife begeistert über die Begeisterung.

Bei den Jungen ist die Sozialdemokratische Partei plötzlich unangefochten vorne, als wäre die alte Tante Sozialdemokratie irgendwie mit einem Mal cool. Man reibt sich die Augen. SPD und Coolness hätte man jetzt länger nicht in einem Atemzug genannt.

Was sagt uns das?

Schulabbrecher, trockener Alkoholiker, Buchhändler, einer von euch, Mann aus Würselen – die Story, die Martin Schulz verkörpert und erzählt, das Bild, das er zeichnet und in Umlauf bringt, funktioniert. „Schulz in­stru­men­tali­siert seine eigene Lebensgeschichte für den Wahlkampf“, betitelte die Süddeutsche Zeitung vergangene Woche ein Experteninterview, was eine seltsame Formulierung ist, denn bei dem Wort „Instrumentalisierung“ denkt man an einen nicht ganz sauberen Vorgang, aber wer würde nicht seine Biografie, deren Ecken und deren Brüche, bemühen, um sein öffentliches Bild zu modellieren?

Wobei Schulz, der Eindruck wächst, einfach auch Glück hat, gerade den richtigen Moment erwischt hat. Das Publikum wartete förmlich auf eine Alternative, darauf, dass es wieder politischen Wettbewerb gibt. Auf eine Alternative sowohl zum „Weiter so“ der Elitenpolitik, als auch zum zornigen Dagegensein des Rechtspopulismus.

Jetzt kann man natürlich herummosern, wie denn einer, der seit 30 Jahren zum politischen Inventar gehört, zur Verkörperung von elementarem Change werden könne, noch dazu, wenn er Bart und Glatze trägt, also nicht ganz dem Trudeau-­Obama-&-Co-Modell entspricht. Aber wenn das Publikum ihn sich als solchen zurechtlegt, dann ist es eben so.

Autosuggestion

Dabei ist natürlich manches schon ein wenig absurd. Einerseits ist Schulz der, der als Verteidiger von offener Gesellschaft, Humanismus und Proeuropäertum auftritt, der den Verhetzern mit klarer Kante begegnet. An keiner anderen Stelle seiner Parteitagsrede erhielt er so viel Beifall wie bei der Sentenz, die AfD sei eine „Schande für Deutschland“.

Zugleich profitiert er aber selbst davon, dass heute die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, die vor 15 Monaten noch „Person of the Year“ war, heute unpopulär ist oder zumindest bis weit in die Mitte hinein Ablehnung erfährt.

Machen wir uns da nichts vor: Es gibt einen starken Groll gegen diese Politik, in ziemlich weiten Kreisen der Bevölkerung. Die Leute würden Merkel am liebsten dafür abwählen, aber als herzlose Rassisten wollen sie natürlich auch nicht erscheinen – zumindest die meisten nicht. Und Schulz ist eine Möglichkeit, die mit den „offenen Grenzen“ identifizierte Kanzlerin abzuwählen, ohne dass man sich dafür schlecht vorkommen muss.

Gegen rechts

Oder anders gesagt: Martin Schulz gewinnt die Wähler aus den unterschiedlichsten Motiven, ja oft müssen sich die über ihre Motive gar nicht selbst so richtig klar sein. Man kann mit ihm die Kanzlerin Merkel abwählen und dennoch die offene Gesellschaft verteidigen.

Gegen die Versuchung der Autoritären zu stimmen, das ist ja jetzt der große Trend. Schulz ist da insofern gewissermaßen ein Trump-Gewinnler. ­Donald Trump, so scheint es, ist die große Wählerbewe­gungsmaschine, die die Leute von den Rechtspopulisten wegtreibt.

Bundestag

Wie man die rechten Demagogen am besten bekämpft, dafür kristallisieren sich gerade zwei Modelle heraus. Das Modell Emmanuel Macron und das Modell Mark Rutte. Modell Macron setzt auf einen energetischen, optimistischen Spirit, auf das Pathos von Hope & Change, auf demokratische Liberalität. Das Modell Rutte auf das kleine Denken, auf das Anpassen, da­rauf, den Rechten das Wasser abzugraben, indem man ihre Themen übernimmt und ihre Rhetorik kopiert.

Gewinnt demnächst das Modell Macron, dann wäre das ein Turbo für die Verteidigung und die Erneuerung der pluralistischen Demokratie. Insofern wird die französische Wahl doppelt wichtig. Wichtig ist, dass Le Pen nicht gewinnt, klar.

Aber genauso wichtig ist die Frage, was künftig als Modell dafür gilt, wie man die Rechten zu bekämpfen hat. Kann man mit einem sozialliberalen, proeuropäischen Modernisierungsversprechen die Rechte deutlicher und vor allem würdevoller besiegen als mit der Rutte-Strategie? Gelänge das, würde von Frankreich auch ein Signal für andere Wahlen ausgehen, auch für die Bundestagswahl im Herbst.

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