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der rote faden Zum Jahresende: 4 Fluchtwege für Überforderte

nächste wocheMeike Laaff Foto: privat

durch die woche mit

Saskia Hödl

Aberglaube

Es ist ein natürlicher Reflex zu fliehen, wenn sich die Zeiten hart anfühlen, die Ereignisse sich überschlagen und die Gewalt näher zu kommen scheint. Flucht, heute nicht physisch im Sinne von kämpfen, weglaufen, tot stellen – sondern eher psychisch im Sinne von kämpfen, weglaufen, tot stellen. Und Fluchtwege gibt es hier durchaus einige.

Etwa Religion. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hat vor einer Woche gesagt, Weihnachten sei die „Antwort auf die Niedertracht, Hoffnungslosigkeit und Sorge unserer Zeit“. Na ja, geht so, würde ich sagen. Abgesehen davon, dass die Hose spannt, weil das Sauerbratendelirium nur langsam nachlässt und die Kekse schon bereitstehen, ist auch am zweiten Weihnachtstag im Grunde alles wie zuvor, Besinnlichkeit hin oder her. Christliche Werte beeindrucken nicht mal mehr die CSU, wie sollen sie also überhaupt noch jemanden auf den rechten Pfad führen?

Eine weitere Fluchtmöglichkeit ist der Aberglaube. Anders kann man sich nicht erklären, dass auf Facebook wieder unaufhörlich die aktuelle Jahreszahl verflucht wird, nachdem bekannt wurde, dass George Michael verstorben war. Es ist schlimm, wenn ein Mensch mit nur 53 Jahren von uns geht. Traurig für die Angehörigen, die Freunde, und wenn er auch noch ein großer Künstler war, auch schlimm für seine Fans. Aber der Tod lässt bekanntlich nicht mit sich diskutieren. Schon gar nicht im Nachhinein. Und sicher nicht auf Facebook. Die Geschichte – oder das „Schicksal“ – hält sich nicht an Jahreszahlen, und es kann nur enttäuscht werden, wer glaubt, dass im Jahr 2017 keine Superstars mehr sterben werden, keine Kriege mehr geführt werden, keine total hirnrissigen Wahlen getroffen werden und keine Autokraten mehr an die Macht kommen.

Heldenverehrung

„Es reicht, 2016!“ heißt es dennoch überall. Einige Stunden später kommt die Meldung, dass Schauspielerin Carrie Fisher gestorben ist und es wird weiter unermüdlich auf die Jahreszahl eingedroschen.

Dass der Tod von Stars uns, obwohl wir sie nicht kennen, so nahe geht, hat etwas mit Heldenverehrung zu tun. Ein weiterer Fluchtweg. Angeblich leben wir ja in einer postheroi­schen Gesellschaft. Verkürzt gesagt, rückte man ab vom Heldentum, nachdem in den Weltkriegen Heldentaten vollzogen, Heldentode gestorben und Heldenverehrung betrieben wurde, die sich später nicht selten als verbrechenbehaftet herausstellten. An die Stelle dieser kriegerischen Helden rückten zivile Helden: Martin Luther King, Rosa Parks, Nelson Mandela, Rudi Dutschke – oder eben Superstars.

Donald Trump

Heute wollen Politiker die Helden sein, es wird groß aufgetrumpft. Im Kleinen, wenn Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) ­moniert, dass die vegane Wurst umbenannt werden müsse. Im Großen, wenn nach all den gescheiterten UN-Vermittlungsversuchen Wladimir Putin mal eben zum Friedensbringer in Syrien wird oder wenn Barack Obama versucht, sein politisches Vermächtnis zu zementieren, Außenminister John Kerry sich für eine Zweistaatenlösung in Israel ausspricht und Benjamin Netanjahu von einem „diplomatischen Anschlag“ spricht.

Nazi-Ufos

Auch der designierte US-Präsident Trump, der dann sinngemäß an Netanjahu twitterte: Warte, Baby, bis ich da bin. Dann nehme ich dich ganz fest in den Arm und alles wird gut.

Wo Böses ist, da wird nach Gutem, nach Helden gesucht. So wurde für den Lkw-Fahrer Lukasz Urban, der beim Anschlag in Berlin das erste Opfer des Attentäters Anis Amri, eine Onlinepetition ins Leben gerufen, die das Bundesverdienstkreuz für ihn fordert. Denn es wurde angenommen, er habe das Lenkrad im Kampf mit dem Attentäter umgerissen, und habe so viele Menschenleben gerettet. Neben unbestätigten Berichten der Bild-Zeitung, dass Urban bereits Stunden zuvor einen Kopfschuss erlitt, bestätigte die Bundesanwaltschaft am Donnerstag, dass der Lkw durch ein automatisches Bremssystem stoppte. Die Petition wird weiterhin von Menschen unterschrieben.

Der vielleicht einfachste Fluchtweg aus dem Schlamassel, den wir Zeitgeschehen nennen, ist aber die gute alte Verschwörungstheorie. Eine besonders schöne Version meldete am Donnerstag bild.de: „Unter dem ewigen Eis der Antarktis soll eine geheime Ufo-Basis der Nazis versteckt sein.“ Eine Gruppe namens „SecureTeam10“, habe ein Video online gestellt, in dem es schließlich heißt, „bis zum heutigen Tag ist es nicht gelungen herauszufinden, was genau sich unter der Eisschicht befindet.“ Zumindest das werden wir schneller geklärt haben, als es uns lieb ist, das Eis schmilzt bekanntlich unaufhörlich.

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