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der rote faden Neue Phase, gar nichts Schlimmes

durch die woche mit

Robert Misik

Türkische Soldaten schießen auf Flüchtende. In Brüssel explodieren Bombensätze. Irgendwer fordert ein Verbot des Islam in Europa. Österreich baut jetzt noch einmal neue Grenzzäune, demnächst sogar am Brenner. Donald Trump sagt täglich eine neue Unsäglichkeit. Und Deutschlands Landwirtschaftsminister verteidigt das Schreddern männlicher Küken, also die Praxis, diese unmittelbar nach der Geburt massenhaft bei lebendigem Leibe durch den Fleischwolf zu drehen. Wer das Gefühl liebt, dass sich vor Zorn die Nackenhaare aufstellen: Von dieser Praxis gibt’s scheußliche Videos auf YouTube.

Nur ein paar der Schlagzeilen der vergangenen Tage.

Dauergereiztheit

Heinz Bude hat in seinem vorjährigen Büchlein über die „Gesellschaft der Angst“ beschrieben, wie sich Angst, Gereiztheit und Negativismus in unsere Gesellschaften hineinfressen. In die Sprache der Politik übersetzt, könnte man sagen, die einzige positive Botschaft, mit der die Akteure im politischen Feld noch hausieren gehen, lautet: „Wählt uns, denn mit uns wird es langsamer schlechter.“ Auch der Betriebsmodus des Aktivismus ist nur in den seltensten Fällen das Engagement für etwas positiv Erstrebenswertes, sondern die Empörung über etwas Empörungswürdiges.

Eine Gesellschaft der Angst nimmt die Geschehnisse der wirklichen Welt nur mehr als Bedrohung wahr, und der Modus der Übertreibung, des paranoiden Fantasierens überwölbt die Wirklichkeit.

Es ist natürlich dieses Klima der Angst und der Dauergereiztheit, das dem rechten Populismus günstig ist. Der Wutbürger, diese verfolgende Unschuld, der bei jeder Gelegenheit der Kragen platzt, ist seine paradigmatische Gestalt. Die Panik, die in ihm hockt, die brüllt er bei jeder Gelegenheit heraus. Aber er ist natürlich nur die sichtbarste Gestalt dieser gesellschaftlichen Angst.

Paranoides Fantasieren

In Wahrheit sind wir alle in der Angst bestens miteinander verbunden. Überspitzt formuliert: Der rechte Wähler hat Angst vor den Flüchtlingen und sonstigen Bedrohlichkeiten. Die anderen haben Angst vor dem Aufstieg der Rechten. So hält uns die Angst allesamt schön zusammen.

Politische Kommunikation, besonders im Aufmerksamkeitsregime sozialer und anderer elektronischer Medien, gehorcht fast generell nur mehr dem Diktat des Negativen: Der empörte Post, der Link zur himmelschreienden Fürchterlichkeit, das garantiert Aufmerksamkeit. Aber das ist noch zu unpräzise gesagt: Es modelliert, nur lange genug praktiziert, auch unsere Gewohnheiten und damit, worauf wir überhaupt aufmerksam werden. Wie der Algorithmus, der unsere Time­line strukturiert, verdrahtet diese Empörungsbewirtschaftung unsere synaptischen Verschaltungen.

Es ist leicht, mit dem Finger auf den Ausländerfeind zu zeigen, der mit einem erregten „Da sieht man es wieder“ einen Link zum jüngsten – erfundenen oder tatsächlichen – Fehltritt eines Asylbewerbers legt. Aber von der Struktur der Kommunikation her agieren Linke oder Linksliberale ja auch oft nicht anders: Mit Wut, Ärger, Zorn wird auf die Schrecklichkeit des Tages verwiesen.

Empörungsbewirtschaftung

Das Ergebnis ist eine medial strukturierte Pseudowirklichkeit, in der sich der ohnmächtige Einzelne inmitten eines endlosen Ozeans des Empörungswürdigen wähnt. Die Pointe ist nur: Eine radikale Rechte, die so agiert, betreibt das zu ihrem Vorteil. Eine Linke, die so agiert, betreibt mindestens zur Hälfte das Geschäft ihrer Gegner, indem sie ein Klima miterzeugt, das deutlich mehr von Pessimismus als von Optimismus geprägt ist.

Und ich sage das ohne Anklage. Auch ich empöre mich oft. Auch ich verleihe dieser Empörung häufig Ausdruck. Aber ich habe auch immer wieder das subkutane Gefühl dabei, dass uns das nicht wirklich weiterbringt.

Subkutane Gefühle

Keineswegs will ich hier einer realitätsfremden Sonnigkeit das Wort reden, schon gar nicht einer kitschigen Pseudoreligion des „Positive Thinking“ oder gar popeligen Zeitungen, die nur gute Nachrichten bringen. Aber das Schüren von Verunsicherung und des Gefühls der eigenen Machtlosigkeit ist gewiss nicht der Königsweg zur Weltverbesserung. Simpel gesagt: Schlechte Stimmung gibt nicht unbedingt Kraft und Energie.

Richard David Precht und Harald Welzer berichteten unlängst in einem Zeit-Essay von einer Veranstaltung in Berlin, bei der sich eine 17-jährige Schülerin zu Wort meldete. „Sie wundere sich, sagte sie, was ‚die Älteren‘ alle für eine Panik hätten wegen der Flüchtlinge. ‚Ich sag denen: Hey, Leute, das ist jetzt einfach’ne neue Phase, das ist nichts Schlimmes!‘“

Ich muss sagen, das gefällt mir. Sehr gut sogar.

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