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der rote faden Horst Seehofer muss "unsere Werte" akzeptieren

durch die woche mit

Robert Misik

Es ist ja einer der verstörendsten Aspekte der gegenwärtigen Flüchtlingsthematik: Die vielen Gerüchte, die Tag für Tag erfunden und verbreitet werden. Plünderungen, Sachbeschädigungen, Übergriffe, Respektlosigkeiten, sogar Vergewaltigungen – all das würden Flüchtlinge tun, hat irgendwer von irgendwem gehört. Keiner dieser Vorfälle ist wahr. Alle werden dementiert, sei es von der Polizei oder den angeblich geplünderten Supermärkten.

Gerüchte

Täglich werden dennoch neue erfunden. Die Dementis machen diese Gerüchte in den Augen derer, die fest an sie glauben, allerdings noch wahrer: Daran sehe man, wie brutal die Wahrheit unterdrückt wird ...

„Warum“, fragt nun die Wiener Autorin Sibylle Hamann, „haben so viele Menschen offenbar das dringende Bedürfnis, Flüchtlingen Missetaten anzuhängen, die sie nicht begangen haben?“ Und dann fährt sie fort: „Die vordergründige Analyse würde lauten: Aus Bösartigkeit.“

Glauben

Das aber greife zu kurz: Den Menschen fällt es schwer, andere leiden zu sehen. Sie spüren die Verpflichtung, Leidenden zu helfen. Wenn sie ihnen aber nicht helfen, dann können sie sich schwer eingestehen, dass sie zu faul, zu egoistisch, zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Sie müssen das für sich legitimieren. Ergo: Sie lieben es dann, Sachverhalten Glauben zu schenken, die scheinbar beweisen, dass der Leidende ohnehin keine Hilfe verdient hat.

Ist jedenfalls eine interessante These, und wenn sie auch vielleicht nicht alles erklärt, so erklärt sie doch vielleicht die Motivation so mancher, die bereit sind, das Absurdeste zu glauben. Ja, und nicht nur die Bereitschaft – das geradezu Aggressiv-Obsessive dieses Glaubens.

Wertepluralismus

Ein ganz klein weniger paranoid als die Gerüchtegläubigen sind die Anhänger der These, die Flüchtlinge müssen „unsere Werte akzeptieren“. Nun ist das ja einerseits eine äußerst banale Aussage, denn selbstverständlich müssen sie das in gewisser Weise (Einschränkung: Wenn einer „unserer“ Werte gerade der Wertepluralismus ist, dann ist das natürlich auch wieder verdammt tricky). Aber lassen wir das. Denn die Aussage ist ja nur oberflächlich banal, der Subtext sagt ja etwas anderes. Er unterstellt, dass die Flüchtlinge damit ein Problem hätten. Der Satz, beispielsweise, „Horst Seehofer muss unsere Werte akzeptieren“, unterstellt ja, dass er es nicht täte.

Nun macht es mich natürlich etwas zappelig, wenn Leute, mit denen ich wohl kaum irgendwelche Werte teile, von „unseren Werten“ sprechen. Aber wenn sie unbedingt wollen, dann werde ich jetzt hier mal einen kleinen Katalog „unserer Werte“ aufzählen: 1. Ein jeder soll nach seiner eigenen Façon glücklich werden. 2. In einer diversen, pluralistischen Gesellschaft gebührt jedem und jeder Respekt. 3. Ein jeder darf anziehen, was er will. 4. Keiner darf von anderen zu etwas gezwungen werden, sofern ein solcher Zwang nicht durch Gesetze, die gut begründet sein müssen, erlaubt ist.

Rechte

5. Religion ist Privatsache. 6. Auch die Moral ist Privatsache, aber nicht nur, da moralische Vorstellungen ja auch das Zusammenleben mit anderen in Blick haben. Aber jede Moralvorstellung, die auch auf andere wirken soll, muss begründet sein, weil diese niemandem aufgezwungen werden kann – für sie kann man nur werben. 7. Wir sollen Notleidenden helfen. 8. Verleumdung, Verhetzung und das Streuen von Gerüchten widerspricht unseren Werten diametral. 9. Angst schüren vor Schwächeren widerspricht unseren Werten ebenso diametral.

10. Du sollst die Mächtigen kritisieren und kontrollieren, und nicht nach unten treten. 11. Wer Ängste vor Schwächeren schürt, ist ein unmoralischer Falott. 12. Die Werte unserer Gesellschaft sind die Solidarität, die Toleranz, die Vielfalt und die prinzipiell friedfertige Austragung, sofern es zu Konflikten kommt. 13. Männer, Frauen, überhaupt jedes Individuum hat die gleichen Rechte, ist gleich zu behandeln und ist von gleicher Würde.

So, das sind nur ein paar von „unseren Werten“. Nun fürchte ich, dass gerade diejenigen, die so schneidig einfordern, die Muslime müssten sich zu „unseren Werten“ bekennen, einen Großteil „unserer Werte“ nicht teilen, was natürlich sofort die Frage aufwirft, wieso es dann eigentlich „unsere Werte“ sein sollen, wenn doch ein beträchtlicher Teil der hiesigen Bevölkerung (jene, die dauernd von Werten schwadronieren) sie nicht teilt. Oder aber sie bekennen sich zu „unseren Werten“. Dann sollen sie aber schleunigst aufhören, Leuten, die sie nicht einmal kennen, zu unterstellen, sie würden „unsere Werte“ nicht teilen. Denn fiese Unterstellungen verstoßen auch gegen „unsere Werte“.

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