der rote faden : Digitale Schlonzigkeit und Verantwortungspolonaise
durch die woche mit
Meike Laaff
Ein Hacker will sich in dieser Woche Zugriff auf das E-Mail-Konto von CIA-Chef John Brennan verschafft haben. Seinen privaten AOL-Account, zu dem er sich über Social Engineering Zugriff verschafft haben will. Sechs der angeblich dort abgezapften Dokumente will Wikileaks kurz später veröffentlicht haben: Papiere aus den Jahren von 2007 bis 2009 – ein Zeitraum, in dem Brennan zwar noch nicht CIA-Chef war, jedoch zum engen Berater von US-Präsident Obama aufstieg. Darunter: Brennans Sicherheitsüberprüfung, Notizen zur Iranpolitik und Papiere eines republikanischen Senators, die sich um Einschränkungen und potenzielle Schlupflöcher für CIA-Verhörpraktiken drehen.
Was man, mal abgesehen von dem angeblichen Inhalt dieser Mails, als hillarious bezeichnen kann: Obamas werdender Antiterrorberater, der sich seine ach so geheim zu haltenden Mails einfach auf seinen privaten Mailaccount weiterleitet. Erinnert stark an die E-Mail-Affäre, die Hillary Clinton auf dem Weg zur Präsidentschaftskandidatur so schwer auf den Füßen liegt – wickelte doch auch sie in ihrer Zeit als US-Außenministerin berufliche Mails über einen Privataccount ab – und verzichtete auf eine amtliche state.gov-Adresse, die intensiv abgeschirmt gewesen wäre.
Dass jede Kette nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied, ist so eine typische Konfirmandenunterrichtsbinse. Aber: So schlicht, so wahr auch für IT-Datensicherheit. Dass nicht einmal diejenigen, die wichtig, wichtig und geheim, geheim die ganz großen Räder drehen sollen, in der Lage sind, sich an einfachste Grundregeln zu halten, die ihre IT-Abteilungen rauf- und runterbeten, hat irgendwie schon fast etwas Beruhigendes. Weil unfreiwillige Transparenz durch digitale Schlonzigkeit die Leute an den Schaltstellen der Macht wieder auf Lebensgröße zurückschrumpfen lässt. Ecce homo: Auch die Brennans und Clintons leisten sich in ihrer Kommunikation im Netz Unverantwortlichkeiten – ebenso wie, jetzt mal Hand aufs Herz, fast jeder andere Internetnutzer im einen oder anderen Bereich. Obwohl Datensicherheit heute eigentlich eine soziale Grundkompetenz ist. Und es jeder eigentlich längst besser weiß.
Aber wissen oder gar genau erinnern, das scheint ja ohnehin äußerst schwierig heutzutage. Vom Deutschen Fußball-Bund bis zum NSA-Untersuchungsausschuss können sich Amtsinhaber bis Sachbearbeiter entlasten mit der Aussage, dass sie zur Aufklärung von all diesem Schlamassel, in dem sie irgendwie mit drinhängen, gar nicht so richtig beitragen können. Weil sie sich nicht mehr so gut erinnern. Was Krisen-PR ist, die auf Ermüdung abzielt. Darauf, dass sich der öffentliche Entrüstungssturm wieder legen möge – und am Ende nur noch ein paar Erbsenzähler und Dokumentenwühler hinschauen.
Und es ist mal wieder eine Verantwortungspolonaise. Ganz ähnlich der, an der sich Facebook weiter versucht, wenn es um rassistische Hetze auf ihrer Plattform geht. Und an der auch die eingeleiteten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen mehrere Facebook-Manager wegen Beihilfe zur Volksverhetzung wenig ändern können wird.
Während vor lauter VW-Skandal, WM-Sommermärchen-Dekonstruktion und allgemeinem Staatsversagen im Umgang mit geflohenen Menschen in der nächsten Woche wahrscheinlich kaum bemerkt in Brüssel an einem Grundprinzipien des Internets herumgeschnippelt werden wird: Am Dienstag nämlich wird das EU-Parlament über das abstimmen, was seit Jahren unter dem sperrigen Namen „Netzneutralität“ diskutiert wird, und die Frage behandelt, ob Internetanbieter alle Datenpakete gleich schnell transportieren müssen. Was am Ende – um das ganze ein wenig sexier zu machen – in Fragen mündet wie: Laufen Videos, Games, Internettelefonie von allen Anbietern auch künftig zuckelfrei übers Netz? Oder entscheidet mein Internetanbieter, ob er bestimmte Anbieter bevorzugt, weil sie einen Deal mit einander haben?
Netzaktivisten warnen, dass der Kompromiss, den das EU-Parlament mit dem Rat dazu ausgehandelt hat: Netzgiganten und Internetanbieter würden danach noch mächtiger, Branchenneulinge, kleine und nicht kommerzielle Anbieter benachteiligt, Innovationen in Europa gehemmt. Ausnahmen für Überholspuren im Datentransport würde den Wettbewerb verzerren, Datenflatrates für Kunden verteuern und dazu führen, dass verschlüsselte Daten automatisch nur verlangsamt transportiert werden.
Hört sich kompliziert an, aber wichtig? Stimmt beides. Deshalb wäre es gut, vor Dienstag noch mal genau hinzuschauen und sich bei Bedarf aufzuregen. Hat doch bei TTIP auch funktioniert.
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